Vom Hören und Zuhören

© Ingrid Röhrl

Wirkliche Kommunikation ist ein Verständigungsprozess. Und der beginnt beim Zuhören. Schon das Hören definiere ich als bewussten kommunikativen Akt, der die Aufmerksamkeit des Hörenden in besonderer Weise herausfordert.

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Das Hören – abseits der bloßen Wort.geräusche, die an das Ohr heranfluten – ist stets ziel.gerichtet, sein transitiver Charakter veranlasst den hörenden Menschen, die Hörangebote anzunehmen und sich mit ihnen intensiv zu beschäftigen. Der Hörende verlässt das Stadium der Distanz, des Desinteresses oder der Lethargie und wird aktiv.

Hören als Herausforderung bedeutet damit auch eine innere Veränderung im Menschen, denn im Herausgefordertsein sieht sich ein Mensch veranlasst, dem Geschehen des Augenblicks nicht auszuweichen, also sein Ohr dem anderen zu leihen, ihm zuzuhören. Jemanden Gehör schenken, ein offenes Ohr für jemanden zu haben – in diesen volkstümlichen Wendungen ist deutlich das innere Bereitssein für den Kommunikationspartner verbalisiert. Für den anderen jedoch kein offenes Ohr mehr zu haben, ist Ausdruck von Egozentrik. WO DAS HÖREN VERKÜMMERT, TRITT ALLMÄHLICH DISTANZ EIN.

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Wesentliches Element des Gesprächs ist das Zuhören!!

Diese Kernaussage ist ebenso wahr wie ungewöhnlich, da die meisten Menschen außerstande sind, richtig und geduldig zuzuhören. Für sie ist die Aktivität in der verbalen Interaktion lustvoller Selbstvollzug mit dem Ziel, sich selbst mitzuteilen, zu informieren, Bedürfnisse kundzutun, soziale Bindungen aufzubauen, sie zu verstärken, den eigenen Erwartungen entsprechend zu befriedigen, sich selbst darzustellen und oftmals Macht und Subordination zu statuieren. Für viele ist Zuhören Fremdwort und Qual zugleich, sie bevorzugen Einwegkommunikation.

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Wenn ich vom GEDULDIGEN ZUHÖREN spreche, dann will mitgesagt werden, dass, wer nicht geduldig zuhören kann, überhaupt nicht zuhören kann, denn für den ungeduldig oder gelangweilt-resignierenden Zuhörer ist das Sprechen des andern nur das Warten aufs eigene Wort und ein Planen der eigenen Darstellung, es ist fast so viel oder so wenig wert wie ein Nichthören oder Weghören.

Geduldiges Zuhören – und hierzu gehören Schweigen ebenso wie freundliches Anschauen des Partners und beruhigendes Atmen – geduldiges Zuhören setzt aktives Interesse am andern voraus, und die elementarste Form ist die Bereitschaft, den anderen ausreden zu lassen, ihn nicht zu unterbrechen und ihm nicht permanent gestisch und mimisch und durch Gähnen oder Wegschauen manifestes Desinteresse oder durch un.ruhiges Rutschen auf dem Stuhl, eben durch die vielfältige Palette nonverbaler Verhaltensmuster, das Warten auf den eigenen Wortbeitrag zu signalisieren.

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Der geduldig Zuhörende wird seinem Dialogpartner weder ins Wort fallen noch das Gespräch abrupt abbrechen, sondern bis zum Ende zuhören. Wer dem andern ins Wort fällt, kann nicht nachweisen, ernsthaft am Verstehenwollen interessiert zu sein, und wer in Geduld und Gelassenheit kommuniziert, nutzt auch nicht die Pausen schamlos aus, um endlich die eigenen Gesprächsanteile unterzubringen.

Der geduldig Zuhörende ist nicht von dem gierigen Bedürfnis gleichsam angefressen, sich allein schon deshalb in den Mittelpunkt des Kommunikationsgeschehens rücken zu müssen, weil er vielleicht von den anderen nicht genügend ästimiert und registriert werden könnte – je mehr er schweigt oder sich zum Schweigen verurteilt glaubt, um so kleiner und geringfügiger kommt er sich vor. Geltungsbedürfnis und egozentrische Profilierungssucht stehen Pate bei solcher Ungeduld. GEDULD JEDOCH IST DER EDELSTEIN DES GESPRÄCHS!

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Nicht minder wichtig ist das GENAUE ZUHÖREN, das herauszufinden bemüht ist, WAS der andere und WIE er es gemeint hat, ohne von vorneherein mit Projektion und Selektion zu filtern.

Wer mit dem Filter durch Angst, Schuldgefühle, Scham, Unterwürfigkeit und Mindergefühle verursachter Projektionen, wer mit dem Filter falscher, etwa überheblicher Einstellung dem Partner gegenüber kommuniziert und wer einen ganzen Bauchladen von Vorurteilen dem Gesprächsinhalt und dem Dialogpartner gegenüber vor sich her trägt, dem gelingt Kommunikation als Verständigungsprozess nicht.

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Genaues Zuhören setzt zwingend ein inneres Loslassen voraus und fordert einen Verzicht ein nicht nur entlang so starker Emotionen wie Liebe, Hass, Neid, Wut, Zorn und Ehrgeiz, sondern auch Verzicht auf Gleichgültigkeit gegenüber den Interessen, Erwartungen, Bedürfnissen, Stimmungen und Kenntnissen des anderen. Ohne solche Verzichtsleistung ist Hinwendung zum anderen nicht möglich.

Der egozentrierte Mensch kann nur schwer auf das Du zugehen, da seine Selbstverliebt.heit, sein Narzissmus diese Öffnung als Hinwendung und Zuwendung zum anderen blockiert.

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Man versteht rasch, dass gerade bei intoleranten Menschen und bei solchen mit Mindergefühlen und Angstgefühlen diese Unfähigkeit zum Zuhören zu beobachten ist: in sich selbst zentriert, das Selbstwertgefühl unterentwickelt, müssen solche Menschen schon ihrer Selbsterhaltung wegen egozentriert kommunizieren – und eben dies tötet Kommunikation.

In der Unfähigkeit zuhören zu können, kommt generell eine Form eklatanter sozialer und kommunikativer Inkompetenz zum Ausdruck, und die darin sich mehr oder minder deutlich manifestierende Abwertung des Gegenüber ist noch greifbarer, wo sich eine gnadenlose Kritikaster-Mentalität breitgemacht und eine ethisch verantwortbare Kritikfähigkeit noch nicht entwickelt hat.

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SCHWEIGEN bedeutet nicht, keine Mitteilung zu machen. Auch beim Schweigen werden Botschaften ausgetauscht, etwa von der Art: Ich höre dir geduldig zu – ich achte dich und deine Meinung – was du mir sagst, ist mir so wichtig, dass ich es genau hören möchte, ohne dich permanent zu unterbrechen.

Der SCHWEIGENDE oder ZUHÖRENDE ist also durchaus aktiv, er hat nur auf dem akustischen Kanal Funkstille, nicht jedoch auf dem optischen – mit Blickkontakt, Körperhaltung, Abstand und Mimik – und nicht auf dem seiner fundamentalen alterozentrierten Grundhaltung, die deutlich signalisiert, ob Interesse oder Desinteresse, Ablehnung oder Zu.stimmung, Achtung, Wertung und Bewertung von Wort und Mensch, ob Betroffenheit oder Gleichgültigkeit vorhanden sind.

Ein antiker Autor bemerkte einmal treffend, die Natur habe dem Menschen ZWEI OHREN gegeben, jedoch NUR EINEN MUND und EINE ZUNGE – ein sanft ironischer Hinweis wohl darauf, dass man doch mehr hörend schweigen als nur oder zu viel sprechen sollte!

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Uneingeschränkt gültig ist auch ein Satz von Alfred Herhaus:
„Häufig liegt im Zuhören mehr Führungskunst als im Reden.“

Denkenswert auch mein antiker Freund Seneca: ‚
„Wer nicht zu schweigen weiß, der weiß auch nicht zu reden.“

„Am Anfang stand das Wort“, sagt die Bibel, und – so die gängige Meinung vieler – wer das letzte Wort hat, ist Sieger. Aber gerade dies sollte in der Kommunikation vermieden werden, nämlich Besiegte, Beschämte, durch undurchlässigen Wortschwall Erwürgte zu hinterlassen!!

Jedenfalls hängt am Zuhören die ganze Kommunikation und damit die Erfüllung der Sehnsucht der Menschen, verstanden zu werden.

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Je mehr und mehr einer zuhört, desto mehr und mehr wird er hören, und je mehr und mehr einer hört, desto tiefer und tiefer wird sein Verständnis. Vor allem bedarf es beim Zuhören der EMPATHIE, das heißt: Ohne die engagierte Bereitschaft, sich selbsttranszendierend in den anderen hineinzuversetzen und dabei sich selbst zurückzustellen, dürfte weder Zuhören noch Verständigung gelingen.

Als ernst genommener Partner wird ein Mensch sich erst dort fühlen, wo ihm der Andere im Gespräch empathisch und geduldig sein Ohr leiht und ihn dadurch wert.schätzt und in seinem SoSein würdigt. Solche Zuwendung und Wertschätzung können bewirken, dass sie in einem Menschen das Beste freisetzen.

– Dr. Bernhard A. Grimm –

Bernhard, ich danke Dir so herzlich für diesen Beitrag!

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Ja, Hören und Zuhören sind wirklich zweierlei. Hörst Du Dir eigentlich selbst zu?

  • Was spricht Dein Körpert?
    Gibst Du ihm gleich eine Pille für die Schmerzbeseitigung, für die Verstopfung etc. statt ihn zu fragen, was er wirklich braucht?
  • Welche Gedanken denkst Du?
    Sind es Gedanken wie geht nicht, keine Zeit, welch Blödsinn, kann ich nicht? Oder sind es Gedanken: Ok, auch wenn’s mir schleierhaft ist wie es gehen soll, ich probiere jetzt dieses oder jenes einmal aus!
  • Welche Gefühle zeigen sich Dir?
    Angst, Scham, Schmerz, Hilflosigkeit? Deckst Du sie lieber mit Anpassung zu und projizierst diese Gefühle auf andere?

Aktives Zuhören fängt bei sich selbst an. Nimm Dir täglich eine 1/2 Stunde Zeit (lach, es darf auch gerne mehr sein), und spüre, fühle in Dich selbst hinein. Nimm wahr, was da ist – und was fehlt. Und dann schaue, was Du wirklich-wirklich brauchst. Meist ist das nämlich etwas ganz anderes als das, was wir denken, was wir brauchen. Viel Freude und ganz viele Erkenntnisse mit dieser Übung.

Herzlichst

Mentorin auf Zeit


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