Systematische Verelendung durch Hartz IV

 

© Andrea Marchetti

„Und wehe, der Schoss ist fruchtbar noch!“  (B. Brecht)

Seit Monaten ist eine deutliche Zunahme der im Rechtskreis des SGB II (Hartz IV) verhängten Sanktionen zu verzeichnen. Diese Praxis wird inzwischen von zahlreichen Kritikern als grundgesetz- und menschenrechtswidrig gegeißelt, sie verstößt gegen die Würde des Menschen (Art. 1 GG) sowie gegen das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG).

Dennoch hat noch Ende April 2012 eine erschreckende Mehrheit im Bundestag für die Beibehaltung dieses fortgesetzten und systematischen Rechtsbruchs gestimmt.

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Die Entscheidung wird u.a. mit fragwürdigen „pädagogischen“ Erwägungen und mit einem diffusen „öffentlichen Interesse“ zu begründen versucht. In einer Stellungnahme gegenüber tagesschau.de erklärte eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA) die Zunahme der Sanktionen mit „der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt im vergangenen Jahr. In Zeiten einer guten Konjunktur könnten die Arbeitsagenturen den Leistungsempfängern mehr Termine vorschlagen und Angebote unterbreiten, deren Nicht-Wahrnehmung oder Ablehnung Sanktionen nach sich ziehen. Zugleich steige bei größerer Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt erfahrungsgemäß die Zahl der Hartz-IV-Empfänger, die die Angebote der Arbeitsagenturen zurückwiesen.“

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Während also die im Bundestag vertreten Mandatsträger (mit Ausnahme der Fraktion DIE LINKE) sich offen gegen das Grundgesetz stellen, wird durch die BA und die Jobcenter einmal mehr den Betroffenen  die Schuld an ihrem Elend zugeschrieben. Es ist offensichtlich, dass so der Druck auf Erwerbslose erhöht werden soll, jede auch noch so miese Arbeit anzunehmen. In der Folge wird weiterer Druck auf das allgemeine Lohnniveau ausgeübt, der Niedriglohnsektor ausgeweitet und eine weitere Prekarisierung der Erwerbsarbeit betrieben.

Die zarte Frucht Sozialstaat wird so bis zur Unkenntlichkeit ausgepresst.

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Es stellt sich aber auch die Frage nach der Motivation der behördlichen Mitarbeiter, quasi in einen „Wettbewerb der Bürgerverelendung“ zu treten. Dabei dürfen wir uns nicht alleine auf die „ausführenden Organe“ konzentrieren, in unseren Fokus gehören auch die Amtsleiter vor Ort und noch zwingender die kommunalen Wahlbeamten wie Landräte, Kreisdirektoren, Beigeordnete und Dezernenten. Letztere sind es, die in den Behörden die Politik bestimmen, in ihren Netzwerken (Städte- und Gemeindetage) wird administratives Handeln und die Umsetzung von Gesetzen beraten und beschlossen. Hier wird auch das sozialpolitische Klima determiniert, dabei kann es schon mal zu kommunalen Wettbewerben („Benchmarkings“) der übelsten Art kommen.

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“Im Vordergrund der Gespräche müssen nach Auffassung der kommunalen Spitzenverbände die Reduzierung der Ausgabenlast im sozialen Bereich und die chronische Unterfinanzierung der NRW-Kommunen stehen. Besonders die Wohnkosten für Langzeitarbeitslose, aber auch die Kosten für die Pflege von Älteren, die Hilfen für Behinderte oder den Ausbau der Kinderbetreuungsangebote sind in den vergangenen Jahren geradezu explodiert .”

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Die kommunalen Wahlbeamten müssen sich in regelmäßigem Turnus einer Wahl durch die Räte oder Kreistage stellen. Sie haben selbstredend ein Interesse daran, auf ihrem Feld zu glänzen und sich zu profilieren, oft auch für erstrebte „höhere“ Aufgaben. Für ihre Berufung sind sie auf politische Mehrheiten angewiesen und auch hier gilt: Wes Brot ich fress, des Lied ich sing. Oder anders gesagt: Hier wird knallharte Parteipolitik betrieben, die nicht zwingend im öffentlichen Interesse liegen muss.

Eine vergleichbare Motivationslage dürfen wir auf der Ebene der Amtsleiter vermuten, auch hier steht die eigene Karriereplanung nicht selten im Vordergrund. Da werden schnell auch Weisungen von oben umgesetzt, die bei genauerer Betrachtung nicht gesetzeskonform sind, da hören wir von „Pflichterfüllung“  oder auch schon mal von „Weisungsnotstand“. Bedenken von Kritikern werden mit einem „wir machen das hier einfach so“ vom Tisch gefegt, dafür werden dann Gesetze gebeugt, wenn nicht sogar gebrochen. Und diese Verwalter des Elends sind sich dabei noch relativ sicher, von ihren „Dienstherren“ geschützt bisweilen wie die Gutsherren agieren zu dürfen, die betroffenen Bürger „können im Zweifelsfall ja klagen.“

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Hauptsache die verordneten Zielvorgaben werden erreicht.

Auch auf der operativen Ebene arbeiten Menschen, wir dürfen auch hier von Karriereplänen und Profilierungsbemühungen ausgehen. Wir sollten aber nicht ausschließen, dass es auf dieser Hierarchiestufe um ganz profane materielle Interessen gehen kann. Mit Einführung des „Tarifvertrages öffentlicher Dienst (TvÖD)“ wurde erstmals eine Leistungskomponente als fester Gehaltsbestandteil eingefügt. Damit wollten die öffentlichen Arbeitgeber vordergründig eine an der Leistung orientierte Bezahlung installieren.

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Der hier definierte Gehaltsbestandteil wird in der Regel einmal jährlich nach systematischen Leistungsbewertungen ausgeschüttet. Dazu werden Kennziffern definiert, bewertet und verglichen. Eine andere Ermittlung der Leistung eines Mitarbeiters stellt aber auch die sog. Zielvereinbarung da, mit der jährliche Zielmargen festgesetzt und angestrebt werden. Dazu bieten sich idealerweise sog. harte Kriterien an, Fakten, die absolut zählbar und relativ vergleichbar sind.

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Wir wissen inzwischen und können es belegen, dass die Anzahl der Sanktionen nicht nur auf Amtsebene als ein solches hartes Kriterium herangezogen wird. Damit bekommt der Rechtsbruch System, die Verelendung breiter Schichten der Bevölkerung wird nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern vorsätzlich betrieben. Dieses eklatante Verbrechen (und es muss als solches benannt werden) muss an den Pranger und unverzüglich eingestellt werden!

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Wir alle haben die Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen. Wir können z.B. jeden Abgeordneten auf sein Abstimmungsverhalten ansprechen und unsere Empörung zum Ausdruck bringen. Wir können diesen Rechtsbrechern bei nächster Gelegenheit die Stimme verweigern, wir können uns zusammenschließen und laut und unmissverständlich Farbe bekennen u.v.a.m.

Gegen entwürdigende Hartz IV Praxis und für berufliche Förderung!
– Norbert Wiersbin –

Danke Dir, Norbert, für diese wach machenden Zeilen. Ich wünsche mir, daß ganz, ganz viele Menschen durch Deinen Artikel hier ins Nachdenken und Handeln kommen. Es ist hohe Zeit dafür! Schließlich haben wir auch ein Grundgesetz, und da heißt es in Art. 1:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Herzlichst

Evelyn

Mentorin auf Zeit


1 Kommentar

  1. 1. Norbert Wiersbin

    Kommentar vom 23. September 2012 um 15:30

    Ich danke für Veröffentlichung auf Deinem Blog. Ja, dafür schreibe ich, um wach zu rütteln und Zusammenhänge aufzuzeigen. Getreu dem alten Goethe:Die Wahrheit muss jeden Tag erneut ans Licht, die Lügen werden uns ja auch ständig aufgetischt!

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