Und ich?
5. Februar 2012 von admin | kein Kommentar
„Und ich?“ ist ein häufiger Aufschrei unter Leuten, die fühlen, dass sie zu viel von sich an andere gegeben und dabei ihr eigenes Glück oder ihre Entwichklung vernachlässigt haben. Leider basiert dieser Schrei, so inbrünstig er auch sein mag, auf einigen gravierenden Missverständnissen über die Beziehung zwischen dem Selbst und anderen.
Beginnen wir mit der Tatsache, dass viele Menschen in vielen verschiedenen Kulturen mit dem Glauben aufwachsen, das Wohl der anderen sei viel wichtiger als ihr eigenes. Daraus resultiert üblicherweise, dass solche Menschen einen Grossteil ihres Lebens – und manche ihr ganzes Leben – damit verbringen, ihre eignenen emotionalen Bedürfnisse und Wünsche zu unterdrücken und gleichzeitig ihr Bestes versuchen, die Bedürnisse und Wünsche anderer voll zu erfüllen.
Das unvermeidliche Ergebnis davon ist erheblicher psychologischer, emotionaler und körperlicher Schmerz.
Einer der Gründe dafür ist, dass das Unterdrücken der eigenen grundlegenden emotionalen Bedürfnisse und Wünsche immer zu einer gewissen psychologischen, emotionalen und körperlichen Disharmonie führt, deren Ausmass vom Grad der Unterdrückung abhängt. Das kommt daher, dass Emotionen Energieformen sind, die als Gedanken, Gefühle und Taten Ausdruck finden wollen.
Diese Energien zu unterdrücken verursacht Spannung, und ungelöste Spannung verursacht Disharmonie. Die grundlegenden emotionalen Bedürfnisse und Wünsche – sich verbunden und wirksam zu fühlen – manifestieren sich kreativ, wenn sie ein Ventil haben und destruktiv, wenn dieses fehlt.
Ein zweiter Grund für den Schmerz ist, dass niemand jemals die Bedürfnisse und Wünsche anderer vollkommen erfüllen kann, ganz gleich wie sehr er/sie es auch versucht, weil Bedürfnisse und Wünsche subjektiv sind, nicht objektiv. Mit anderen Worten, ganz egal wieviel oder wie gut du auch etwas für andere tust, sie können immer noch das, was du getan hast, als „nicht genug“ befinden. Das wiederum verstärkt deine Gefühle der Trennung und der Unwirksamkeit und erhöht den eigenen Schmerz noch mehr.
Ein dritter Grund ist einfach, dass dieses Konzept, dass das Wohl der anderen über das eigene geht, auf der Annahme basiert, dass man die Wahl treffen muss, zwischen sich selbst und den anderen, zwischen totaler Selbstsucht oder totaler Selbstlosigkeit. Ich frage mich, wer sich diese blöde Regel ausgedacht hat. Ich verwende das Wort „blöd“, weil es so oder so in Disharmonie resultiert.
Totale Selbstlosigkeit führt zu Gefühlen der Isolation und Verzweiflung, und totale Selbstsüchtigkeit führt zu Gefühlen der Isolation und Verzweiflung. Da kann man nur verlieren. Selbst wenn die Wahl nicht ganz so krass getroffen wird, für manche Menschen führt der eine Weg zu wachsender Kaltherzigkeit und unmenschlichem Verhalten, der andere zu wachsendem Groll und brutalen Handlungsweisen.
Entferne diese eine Annahme und es ist unglaublich, wie sich die Dinge ändern können. Es ist durchaus möglich, sich gleichzeitig um sich selbst und um andere zu kümmern. Du kannst glücklich sein und Glück mit anderen teilen, reich sein und den Wohlstand teilen, bemächtige dich selbst und bemächtige andere. Wenn du die obige Annahme entfernst, kannst du sogar entdecken, dass Glück mit anderen zu teilen, dein eigenes erhöht, Wohlstand zu teilen, deinen eigenen vergrössert, und andere zu bemächtigen, dich selbst bemächtigt.
Es gibt allerdings noch eine andere Seite des Problems, nämlich wenn das Bedürfnis nach Verbundenheit und Wirksamkeit so gross ist, dass man immer nach Zeichen Ausschau hält, die einem bestätigen, dass sich die anderen nicht genug um einen kümmern.
Das könnte ein Freund sein, der sich nicht oft genug meldet, oder nicht dann, wenn du das möchtest; Menschen, die dich nicht so schätzen für das, was du für sie tust, wie du dir das vorstellst; Fremde, die dich nicht beachten, wenn du gerne bemerkt werden würdest; und viele andere Situationen, die dir zu demonstrieren scheinen, dass sich die anderen einfach nicht genug um dich kümmern, ganz egal was du auch tust. Manche Menschen mit diesem Problem werden deprimiert, andere werden so wütend, dass sie sich selbst krank machen.
Das wirkliche Problem bei dieser Sache ist, dass so eine Person sich nicht genug um sich selbst kümmert. Dieser Mangel an Selbstachtung kann so gross werden, dass die Verantwortung dafür anderen aufgeladen wird, normalerweise mit strikten Regeln, wie diese sich zu verhalten haben, um so den Mangel an Anerkennung beobachten und messen zu können, was wiederum die Regeln rechtfertigt.
Abgesehen von dem körperlichen, emotionalen und mentalen Stress, welchen das verursachen kann, hat das Einfordern korrekter Verhaltensweisen den Effekt, dass andere Menschen dich meiden werden, anstelle dir näher zu kommen.
Die „Und ich?“ Krise derart lösen zu wollen ist als ob man versucht, Fliegen mit Essig anstelle von Honig anzulocken. Stattdessen ist die Lösung – natürlich nur wenn du bereit bist, Verantwortung für deine eigenen Erfahrungen zu übernehmen – anfangen zu üben sich selbst bedingungslos zu lieben. Das heisst, fang mit 10 % an und erhöhe dann, ohne dass es notwendig ist, jemals 100 % zu erreichen. Und reduziere auch deine Regeln für andere um 10 %.
Natürlich gibt es auch noch andere Entscheidungen zu treffen. Du wirst entscheiden müssen, wann, wo und wie du deine eigenen Bedürfnisse und Wünsche ausdrückst. Du wirst vielleicht auch entscheiden müssen, wann, wo und wie du anderen hilfst, ihre zu erfüllen. Möglicherweise stellt es für dich eine Herausforderung dar, einen harmonischen Fluss zu finden zwischen Verantwortung für deine eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu übernehmen und gleichzeitig NICHT für die der anderen, und doch bereit dazu zu sein, ihnen zu helfen. Aber eine Herausforderung ist nicht das gleiche wie eine Pflicht.
Gut zu dir selbst sein darfst du auch ohne Schuldgefühle, und gut zu anderen sein ohne gegenseitige Erwartungen kann zu einer Quelle der Freude werden.
(Serge Kahili King)
Der Beitrag hätte auch von mir sein können. Und es ist so lohnenswert, diese Umstellung vorzunehmen. Für sich selbst und für andere. Keiner kann einen anderen all das geben. Wir sind für andere keine „Wunscherfüllungsmaschine“, auch wenn wir uns das wünschen – und umgekehrt genau so wenig.
Herzlichst
– Mentorin auf Zeit –