Johannes

© Wolf Wanninger

Autor ist Heinz Körner

In einfachen, klaren und präzisen Worten schildert Heinz Körner die Begegnung eines jungen Angestellten mit Johannes, einem geheimnisvollen alten Mann. Diese Begegnung, die unter spannenden und äußerst mystischen Umständen stattfindet, gerät für den jungen Mann zum Zusammenbruch der Scheinwelt aus lauter Lügen und Kompromissen, die wir alle um uns herum aufgebaut haben. Ihm wird bewusst, wie sehr er und seine Mitmenschen in ihrer Feigheit gefangen sind, in einer Feigheit, die alle an der Entwicklung ihrer Fähigkeiten behindert. Seine Lügenwelt bricht zusammen und er muß schmerzlich erkennen, daß er mit all seinen progressiven Ideen nur ein Ziel verfolgt hat: sich selbst zu verstecken.

© Wolf Wanninger

Konkrete und realistische Vorschläge zur Verbesserung seiner persönlichen Situation machen Johannes zu einer Art Therapie, die jeden an sich selbst interessierten Leser fesseln und treffen wird. Dabei ist es in einer einfachen und frechen Sprache gehalten, die bei aller Schlichtheit durch ihre literarische Qualität besticht.

Hier ein Auszug aus dem Buch:

„Du kennst sicher den alten Streit“, begann ich zu argumentieren, „ob das Sein das Bewusstsein beeinflusst oder das Bewusstsein das Sein. Wahrscheinlich stimmt keine der beiden Meinungen, sondern jede dürfte ein Teil der Wahrheit sein. Das finde ich. Deshalb ist es zu einfach, wenn du sagst, die Menschen müssten ihr Bewusstsein ändern und schon wäre alles in Ordnung.“

© Wolf Wanninger

„Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte Johannes. „Vor einer Änderung des Bewusstseins steht der Wille, sich überhaupt zu ändern. Der Mut, nicht vor jeder neuen Möglichkeit den Schwanz einzuziehen und ängstlich am alten, zwar schlechten, aber gewohnten Leben festzuhalten. Wenn dieser Mut von jedem einzelnen oder wenigstens von denen, die Bescheid wissen, aufgebracht würde, könnten sie neue, vielleicht bessere Erfahrungen machen. Sie könnten lernen. Sie würden nicht nur reden und diskutieren. Sie würden nicht nur mit klugem Wissen im Kopf herumlaufen. Nein, sie könnten mit Leib und Seele erfahren, was Leben wirklich ist. Sie könnten das Wesentliche sehen, weil sie plötzlich mit dem Herzen und nicht nur mit dem Verstand leben würden. Es ist es. Und das ist alles!“

© Wolf Wanninger

Ich fühlte, daß in mir ein anderer war. Einer, der sich immer öfter bemerkbar zu machen versuchte. Er saß tief drinnen in mir. Der Mund war ihm zugeklebt, Arme und Beine waren gefesselt. Deshalb konnte er nicht laut schreien, nicht um sich schlagen. Wann hatte ich ihn gefesselt? Warum? Ich musste wegschauen. Ich durfte ihn auf keinem Fall wahrnehmen. Er war der Splitter, den ich mir mit jeden Satz dieses Gespräches tiefer in den Fuß trat. Sofort begann ich wieder zu reden: „Und wie soll das vor sich gehen? Wie entwickelt man ein neues Bewusstsein, wenn man durch äußere Zwänge davon abgehalten wird?“

© Wolf Wanninger

Johannes erhob sich. Er seufzte tief und ging ein paar Schritte hin und her. Dann begann er, steig im Kreis um mich herumzugehen. Nach einer Weile sagte er: „Weißt du, was ein totes Gespräch ist? So reden fast alle. Es ist, wenn man mit geschlossenen Augen, mit verriegeltem Gehirn und mit einer zugemauerten Seele redet und zuhört. Dieses viele tote Denken und tote Reden hat uns Menschen auseinandergebracht. In solchen Fällen wollten wir durch Schweige, Schauen und fühlen uns öffnen. Vielleicht kommen wir dann alle wieder zusammen.“

Er schwieg und drehte weiter seine Runden um mich und den Baum, an dem ich gelehnt hatte. Jetzt saß ich starr, aufrecht und betroffen von seiner Wandlung da und beobachtete ihn nervös.

© Wolf Wanninger

„Du führst gerade ein totes Gespräch mit mir“, fuhr er fort und blieb plötzlich vor mir stehen. Er sah mir mitten in die Augen, mit einem Blick, der mich innerlich zu zerreißen drohte. Nicht böse war er, sondern betroffen. Doch wie alles, was ich bei Johannes bisher erlebt hatte, schien er auch jetzt ganz intensiv bei sich zu sein. Er war die Betroffenheit selber. „Vielleicht ist es meine Schuld. Ich wollte mir Dir reden und mich auf keinen Fall in eine Diskussion über etwas anderes einlassen. Ich habe es dennoch getan. Und du sitzt da und hörst mir mit verschlossenem Herzen zu. Bist verzweifelt darum bemüht, deinen Verstand beisammen zu halten und damit so beschäftigt, daß du nicht mehr zuhören kannst. Ich werde dich ein Weilchen alleinlassen. Wenn du willst, warte hier. Wenn du schweigst, fühlst du vielleicht, was du nicht fühlen kannst, wenn wir diskutieren. Ich wünsche dir, daß du dich öffnen kannst.“ …

© Wolf Wanninger

Persönliche Anmerkung:

Ein „kleines“ und doch so großes Buch. Die Erzählung faszinierte und beeindruckte mich von der ersten Zeile an  bis zum Schluss. Ich fand so viele Argumente von mir in diesem Buch vor und auch ganz viele Antworten, die ich mittlerweile selbst gebe, einfach weil ich das eine oder andere gut verstanden habe. Was nutzt uns alles Wissen, wenn wir es versäumen, dieses Wissen wirklich zu leben? Und die „Weisheiten“ sind allgegenwärtig, so daß ich mit einer davon aus diesem Buch diese Buchempfehlung schließe:

„Verleugne deinen Körper nicht und verstecke ihn nicht, sondern erfreue dich an seiner wunderbaren Vielfalt und Schönheit. Lass deinen Körper nicht verkommen, sondern fühle, was er dir zu sagen hat. Bewege deinen Körper, zeig ihm die Sonne und den Wind. Lass ihn frei atmen und frei leben, und du wirst sehen, daß er auch Dir Freude bereiten wird.“

Herzlichst

Evelyn

Mentorin auf Zeit


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