Oma

© Andrea Marchetti

Aktuell kommen Erinnerungen hoch aus meiner Vergangenheit, ausgelöst durch eine Erfahrung, die jemand gerade in meinem Umfeld macht. Wie dankbar bin ich dafür zu erleben, daß Frieden machen immer möglich ist und das es immer wieder Momente in unserem Leben gibt, wo wir einen Schock erleben, der uns lähmt, der uns klein und hilflos macht – und dieser Schock dennoch geheilt werden kann, wenn oftmals auch erst nach sehr, sehr langer Zeit. –

Meine Erinnerungen gehen an Oma zurück. Sie war für mich ein ganz besonderer Mensch. Wie sie es schaffte, mit ihrer so kleinen Rente auszukommen, wie es ihr gelang, davon auch noch großartige Geschenke zu machen und dabei zu sparen ist einfach unglaublich.

© Andrea Marchetti

Ich war ihr erklärter Liebling. Ich konnte fast mit allem zu ihr kommen. Sie war auch diejenige, die oftmals mein Schulschwänzen absegnete und ich in dieser Zeit zu ihr unter die Bettdecke kriechen konnte, wo sie mir dann Geschichten aus ihrem Leben erzählte. Ihre Koch- und Backkunst war unübertroffen und  Qualität statt Quantität war ihre Devise. Lieber kaufte sie weniger, dafür jedoch das Rechte.

Sie wurde als junges Mädchen als Dienstmädchen weggegeben. Als junge Frau heiratete sie einen Mann, den sie wenig liebte, der ihr jedoch „Sicherheit“ bot – und so lernte sie, ein Papierwarengeschäft zu führen, welches ihm gehörte.  Doch nur kurz währte die Ehe, denn mein Opa wurde bald in die Klinik eingeliefert und später im Rahmen des Euthanasie-Programmes kam er zu Tode. So ist meine Oma auch ohne ein Grab ihres Mannes geblieben, was sowohl für sie wie für meine Mutter einen schmerzlichen Verlust darstellte, obwohl auch dieses Thema – wie so viele – bei uns „zu Tode geschwiegen“ wurde. Das Geschäft wurde im Krieg aufgegeben – und es gelang ihr danach, eine Arbeitsstelle als Putzfrau bei den Amerikanern zu erlangen, die sie dann auch bis zu ihrer Rente beibehielt.

© Andrea Marchetti

Und es kam der Tag, der alles veränderte:

Gut gelaunt aus dem Urlaub zurückkommend, fand ich eine Nachricht meiner Eltern vor, daß ich Oma jetzt im Krankenhaus finden würde und ich sie besuchen möge, da sie selbst jetzt in den Urlaub fahren. Sofort am nächsten Tag fuhr ich hin, suchte das mir benannte Zimmer auf und fand auch Oma’s  Sachen vor. Doch von ihr selbst keine Spur. Nun, ich wartete eine zeitlang und erkundigte mich dann im Sprechzimmer bei den Krankenschwestern nach ihr, da sie noch immer weg war. Ach, meinten diese, dann müssen wir mal wieder die Station nach ihr absuchen. Und so war es auch: Sie lag in einem ganz anderen Bett, sie hielt es für ihres. Ich stand sprachlos da. Bereitwillig folgte sie uns in ihr Zimmer, in ihr Bett. Wie hatte meine Oma sich in so kurzer Zeit verändert.

© Andrea Marchetti

Viel erzählte sie und verwechselte mich fast ständig mit meiner Mutter. Sie berichtete aus ihrer Jugend, aus ihrer Kindheit und es kam binnen einer Woche der Tag, wo sie mich nicht mehr erkannte. Ich stand damals  mit  Mitte 20 hilflos vor ihrem Bett und verstand die Welt nicht mehr. Die Trauer, das Entsetzen, das Nichtverstehen schmerzte mich körperlich und seelisch so sehr, daß ich immer mehr dicht machte, um überhaupt sie noch besuchen zu können. Sie so hilflos, so klein, so zart und so in ihrer Kindheit lebend zu erleben, ging über meine Grenzen.

© Andrea Marchetti

Ich war dankbar, daß Eltern wieder aus dem Urlaub zurück kamen und nun Mutter täglich zu ihr fuhr. Und es kam der Augenblick, wo Oma auch Mutter nur noch als fremden Menschen ansah und fragte, was sie wolle. Wochen später starb sie dann in einer Pflegeeinrichtung, in ihren Erinnerungen als ca. 9jährige. Ein bewußtes  Abschied nehmen war mir unmöglich, auch bei ihrer Beerdigung. Ihr Grab besuchte ich nie, ich hatte sie dennoch in meinem Herzen, wenn auch als die Oma, die ich vorher kannte und erlebte und die ich innig liebte.

© Andrea Marchetti

Ich war immer mit Oma verbunden – und in einer Familienaufstellung vor einigen Jahren konnte ich vieles für sie und ihren Mann, meinem Opa, klären und auflösen. Und heute weiß ich, daß sie mich damals hörte, daß sie mich auch damals verstand – nur auf einer ganz anderen Ebene. So habe ich nach langen Jahren meinen Frieden mit mir und mit meiner Oma machen können und auch den Frieden gefunden – dafür bin ich gerade heute so etwas von aus vollem Herzen dankbar.

© Andrea Marchetti

Was hätte ich mir damals gewünscht, eine Warnung von Eltern zu lesen. Die Situation überforderte mich restlos! So unvorbereitet meine Lieblingsoma zu erleben, ging über meine Kräfte und über meinen Verstand. Meine Eltern später darauf ansprechend blieb ich ohne Antwort, bis heute.

Dieses Verhalten ist auch heute noch in vielen Familien „üblich“,  Familienangehörige ungewarnt solchen Situationen auszusetzen. Das sind Erfahrungen, die ich keinem wünsche, und die dennoch geschehen – und für lange, lange Zeit prägen. Welche eigene Feigheit wird gezeigt, welche Verantwortungslosigkeit, welch ein Ausdruck von fehlender Achtsamkeit und Wertschätzung?

© Andrea Marchetti

Sicherlich, es ist ein Ausdruck eines gestörten Miteinanders, von Scham, von tiefen Kluften innerhalb der Familie. Und genau aus diesem Grunde erzähle ich diese Erfahrung von mir. Und ich wünsche mir sehr, daß Dich das zum Nachdenken anregt.

Welche Unklarheiten, welche Ungereimtheiten, welchen Zwist gibt es in Eurer Familie, z.B. zwischen den Geschwistern, zwischen den Eltern und den Kindern, Enkelkindern…? Klärt es, kläre das in Dir … bevor solche einschneidenden Erfahrungen entstehen und den Pfahl der Entfremdung noch tiefer treibt.

Alles ist klärbar, alles ist lösbar.

Zum Abschluß schenke ich Dir dieses Musikstück:

Herzlichst

Evelyn

– Mentorin auf Zeit –


2 Kommentare

  1. 1. Gesami

    Kommentar vom 25. April 2012 um 09:59

    Hallo Evelyn
    Das ich deinen Blog gefunden habe ist für mich ein Wunder und dieses Thema mit deiner Oma, ich bin Platt genau das habe ich erlebt und gerade heute morgen hatte ich mich gefragt was meine Oma für mich und in mir berührt.
    Es passt zu dem Thema zu dem ich dir beim ersten mal schrieb, unerfüllte Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung, bei Eltern und Kindern.
    Ich habe meine Großmutter auch beaufsichtigen müssen, bin ihr in ihre Welt gefolgt.
    Aber was das jetzt alles so auslöst in meinem Leben und die Glaubensformen die daran hängen, ja Ängste, auch Schuldgefühle, sicher ein Thema das sich schon über Generationen überlieferte.
    Ich danke dir noch ein mal für deine Inspiration
    Gesami

  2. 2. Evelyn

    Kommentar vom 25. April 2012 um 12:00

    Hallo Gesami,
    ich freue mich sehr, daß Du für Dich von diesem Blog profitierst und so das eine oder andere annimmst. Ja, Glaubensformen, Gedankenmuster, Verhaltensstrukturen und vieles mehr können sehr, sehr hartnäckig sein – und zeigen sich immer wieder in neuen Farben.
    Schön, wenn Dir das immer mehr bewusst wird. Denn so ist erst dann eine Veränderung möglich.
    Habe weiter eine gute Zeit mit Dir selbst – und mit meinem Blog!
    Herzlichst
    Evelyn

Einen Kommentar schreiben