Keine Zeit – eine gute Ausrede?

Stille

© Evelyn Worbs

Heute scheint es zum guten Ton zu gehören zu sagen „Ich hab keine Zeit“. Wahrheit oder Illusion? Nutzen wir die angeblich fehlende Zeit als Ausrede? Und wenn ja, wofür? Sind wir nur etwas wert, wenn wir viele Termine haben? Sind wir nur etwas wert, wenn wir permanent beschäftigt sind? Und was bleibt unerledigt, was bleibt liegen, welcher Berg wird immer größer dadurch? Und heißt der Berg Unzufriedenheit?

Hektik macht sich breit: Ich bin im Beruf gefordert, mein Terminkalender ist voll. Da ist die Familie, die Ansprüche stellt, da ist der Verein, der Sport, die Freunde, Behördengänge sind zu erfüllen und vieles mehr. Jeder Tag ist mehr oder weniger ausgefüllt wie der voran gegangene. Wir befinden uns immer wieder in unserem eigenen Hamsterrad: wir laufen und laufen. Doch, wo laufen wir hin bzw. wovor laufen wir weg?

© Wolf Wanninger

Bei all den Terminplanungen, bei all den Aufgaben, die wir zu erfüllen haben bzw. glauben erfüllen zu müssen: Wo bleibt die Zeit für sich selbst? Wo bleibt die Zeit für das Innehalten? Tragen wir in unseren Terminkalender auch einen Termin nur für bzw. mit uns selbst ein?

Es ist immer wieder notwendig, sich in die Ruhe bzw. in die Stille zu begeben. Anspannung und Entspannung im Rhythmus. Wie ein Herzschlag. Wie wollen wir erkennen, was unser nächster Schritt ist, wenn wir uns selbst nicht zuhören, wenn wir vor lauter Beschäftigtsein nur immer weiter in unserem Hamsterrad rennen, ziellos? Und uns dann möglicherweise noch darüber beschweren, dass wir keine Zeit haben.

© Wolf Wanninger

Oder nutzen wir das „Ich hab keine Zeit“ dafür, vor uns selbst wegzulaufen, nicht hinsehen zu müssen, was unsere wahren Träume und Wünsche sind?  Wenn dem so ist, dann missbrauchen wir uns selbst, verletzen wir uns selbst. Nutzen wir die Aussage, um unsere Gefühle und Bedürfnisse wegzudrücken, weil uns sonst die Traurigkeit erfaßt, wenn wir unsere Sehnsüchte spüren und diese weiter unerfüllt lassen? Und sind Krankheit, Arbeitslosigkeit oder andere Einschnitte, notwendig, damit wir uns endlich Zeit für Ruhe für uns selbst in Anspruch nehmen?

In der Ruhe finden wir unsere Antworten – nicht in der Hektik. Im Stillen zeigt sich, was für uns gut ist – und dann können wir den nächsten Schritt gehen. Und wir können aufhören, immer weiter das gleiche Spiel zu spielen.

Was meinen Sie? Wozu nutzen Sie diese Ausrede?

Herzlichst

Evelyn

Mentorin auf Zeit


3 Kommentare

  1. 1. Dr. phil. Bernhard A. Grimm

    Kommentar vom 29. Mai 2010 um 11:45

    Keine Zeit haben?
    Keine gute, sondern eine miserable,meist ego.zentrische Ausrede!

    Wenn manche sagen, sie hätten keine Zeit, so ist das meist eine Lüge. Als ob keine Zeit mehr da wäre, die man sich nehmen könnte!

    In Wahrheit meinen sie, sie haben nur Zeit für anderes, das ihnen wichtiger zu sein scheint. Es ist einfach falsch zu sagen, die Leute hätten zu wenig Zeit, sie haben nur zu viel zu tun. Zeit kommt ja immer neue nach. Von daher gibt es keinen Mangel an Zeit! Es ist auch falsch zu klagen, dieser oder jener habe einem die Zeit gestohlen. Denn dann hätte ja derjenige, der die Zeit stiehlt, die Zeit (als Vorrat), die er gestohlen hat. Die hat er aber nicht.

    Zeit zu haben, ist ein wirklicher Luxus. Man kann diesen Luxus ausstrahlen und man kann ihn mit anderen teilen. Es gibt kaum etwas Sympathischeres als einen Menschen, der Zeit hat.

    Zeit ist kostbar, und Zeit ist das einzige, was auch der Dankbare einem nicht ersetzen kann. Zeit ist ein herrliches Geschenk für den andern – machen wir davon Gebrauch!

    Danke, liebe Evelyn, für deinen berührenden und wahren Beitrag. Mögen ihn viele lesen und darüber reflektieren!

    Herz.lich
    Bernhard

  2. 2. Hans-Werner Klaffl

    Kommentar vom 20. Juli 2010 um 13:23

    Menschen, die sagen, dass sie keine Zeit haben, nehmen sich vor allem keine Zeit für das 3. Wort, das ihre Behauptung erklärt. Nämlich das Wörtchen „dafür“. Denn vollständig sieht die Aussage so aus: „Ich habe keine Zeit dafür.“

    Stimmt schon, ist so. Weil sich nicht die Zeit oder die Zeiten ändern, sondern weil es heute ist wie immer schon. Jeder von uns hat 24 Stunden Zeit am Tag, hatte, hat und wird haben.

    Fragt man Menschen, die keine Zeit mehr für das Wort „dafür“ haben, dann sagen sie, dass sie unter Druck stehen. Fragt man dann die, die den Druck angeblich auslösen, dann sagen sie, dass sie unter Druck stehen. Die Menschen, die diesen Druck angeblich auslösen, sie wird man nicht finden, egal wie akribisch man sucht.

    Ich gebe zu, ich gehöre zu den Menschen, die schon auch mal sagen: „Ich habe keine Zeit dafür.“ Dieses „dafür“ erkläre ich dann etwa so: „Menschlichkeit geht mir vor, ich werde gebraucht.“ Oder: „Ich interessiere mich nicht für diesen Sachzwang, er überrumpelt Menschen.“ Und so weiter, und so weiter…

  3. 3. Evelyn

    Kommentar vom 20. Juli 2010 um 15:58

    Lieber Bernhard und lieber Hans-Werner,

    danke Euch dafür, daß ich hier von Euch und Euren Sichtweisen lesen darf.

    Ja, schon allein dieses kleine Wörtchen „dafür“ bringt so viel Klarheit und zeigt auch die Eigenverantwortung. Das nenne ich dann Ehrlichkeit, sich selbst und anderen gegenüber.

    Wär‘ schon schön, wenn das immer mehr so sehen und beherzigen!

    Herzlichst
    Evelyn

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