Was kostet eine Stunde?

© Evelyn Worbs - Freude

© Evelyn Worbs

Ein kleiner Junge saß mit seinem Vater im Wohnzimmer und versuchte von Zeit zu Zeit die Aufmerksamkeit seines Vaters auf ein Spiel, das er spielte oder eine Zeichnung, die er in der Schule angefertigt hatte, zu lenken. Ab und zu versuchte er auch, ihn für eine Geschichte über seine Erlebnisse an diesem Tag zu interessieren.

Aber wie so oft, sagte auch an diesem Abend sein Vater zu ihm „Nicht jetzt, Sohn. Ich bin beschäftigt. Lass mich bitte in Ruhe diese Papiere lesen. Ich spiele mit Dir, wenn ich fertig bin.“ Der Junge wartete, wie an den meisten Abenden, geduldig und trotzdem … passierte nichts.

© Andrea Marchetti

Schlußendlich sagte der Sohn:  „Papa, darf ich Dir eine Frage stellen?“ Worauf der Vater antwortete: „Oh, natürlich, wenn ich dann endlich fünf Minuten meine Ruhe habe!“ „Wieviel verdienst Du pro Stunde?“ Warum willst Du das eigentlich wissen?“ Der Junge schaute verlegen, aber sagte: „Oh, nichts. Es ist ok.“ und wandte sich wieder seinen Spielzeugen zu. Der Vater saß ungläubig in seinem Stuhl, aber sagte schließlich: „Ok, wenn Du es wissen musst, ich verdiene 40 Euro pro Stunde und arbeite sehr hart dafür.“

Mit einem Lächeln antwortete der Junge: „Danke Papa, ich bin froh, dass Du es mir gesagt hast.“ Er rannte in sein Zimmer und ließ seinen Vater ungläubig mit seinen Papieren allein. Ungefähr eine Minute später kehrte der Junge zurück und fragte „Papa .. kann ich mir 20 Euro leihen?“ Der Vater war empört. „Was??? Du fragst mich, wieviel ich verdiene und möchtest Dir danach Geld leihen? Geh in Dein Zimmer für Deine Frechheit!“ und schickte den Jungen ins Bett.

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Der Vater blieb im Wohnzimmer zurück. Zuerst verärgert, dann irritiert und schließlich verwirrt darüber, was der Junge gesagt hatte. ‚Was hat er vor?‘ fragte er sich. Nach einer kleinen Weile ging er in das Zimmer, in dem sein Sohn schlief und beobachtete, wie sich seine kleine Brust mit jedem Atemzug hob und senkte. Als er sich über seinen Sohn beugte, um ihm einen Gute-Nacht-Kuss zu geben, öffnete der Kleine seine Augen und sagte: „Entschuldige Papa, ich wollte Dich nicht ärgerlich machen.“

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„Ist schon in Ordnung“ antwortete der Vater. Da er sich darüber ärgerte, dass er den Jungen geschimpft hatte, griff er in seine Tasche und gab dem Jungen die 20 Euro, um die dieser ihn gebeten hatte. Das  Gesicht des Jungen hellte sich auf und er rief freudig: „Danke, danke!“ ‚Vermutlich ist es wirklich sehr wichtig für ihn‘ dachte der Vater. „Was wirst Du Dir dafür kaufen?“ fragte er. Im gleichen Moment griff der Junge unter sein Kopfkissen, zog zwei verknitterte 10 Euro-Scheine hervor, die er scheinbar für etwas Wichtiges aufgehoben hatte.

„Nun, Papa, jetzt habe ich 40 Euro … ich habe mich gefragt …“ stammelte er, sehr schüchtern, “ … kann ich mir eine Stunde nur für uns beide kaufen?“
– Autor unbekannt –

Welche Gedanken laufen Ihnen bei dieser Geschichte durch den Kopf? Und diese „Geschichte“ gilt auch für Mütter …

Herzlichst

Evelyn

Mentorin auf Zeit


5 Kommentare

  1. 1. Ingrid

    Kommentar vom 12. April 2010 um 12:53

    Liebe Evelyn,

    diese Geschichte berührt mich sehr….

    Ich glaube, daß es gar nicht so selten vorkommt, daß berufstätige Eltern wenig Zeit für ihre Kinder haben. Dieser Junge wollte ja „nur“ ein wenig Zeit, die sein Vater mit ihm verbringt. Und er hätte ihm sogar seinen Stundenverdienst in Höhe von 40 Euro bezahlt.

    Ich weiß nicht, ob Erwachsenen manchmal wirklich so bewußt ist, was in ihren Kindern vorgeht, wenn sie weggeschickt werden mit der Aussage: Ich habe jetzt keine Zeit! Vieles ist sooo viel wichtiger, die Arbeit, der Haushalt, wichtige Erledigungen.

    Aber: was sind diese Tätigkeiten und Pflichten gegen ein Kinderlächeln….?

    Herzlichst,
    Ingrid

  2. 2. Detlef Pick

    Kommentar vom 2. September 2010 um 05:30

    Hallo Evelyn,
    ja das ist so ähnlich.
    Wir Erwachsenen sind so in unserer Schaffe-Schaffe-Welt eingebunden, dass wir für die Kinder zu wenig Zeit haben. Und wenn, dann ist alles so durchgeplant, dass für das was das Kind will, überhaupt kein Raum mehr ist.

    Wir müssen lernen, mit und für die Kinder die Welt wieder mit den Augen der Kinder zu sehen.

    Dann erhalten wir auch wieder ein Kinderlächeln und freudig glänzende Augen.

    Grüße, Detlef

  3. 3. Evelyn

    Kommentar vom 5. September 2010 um 22:03

    Hi Detlef,

    ja, „wir“ Erwachsene kennen diese Situation, und unsere Eltern und deren Eltern auch. Ein Kreislauf, der unterbrochen werden darf.

    Wenn wir uns an unsere eigene Kindheit zurück erinnern, dann wissen wir auch, was wir heute beachten dürfen. Was unsere Kinder brauchen, damit sie das Strahlen in die Augen bekommen, welches uns oftmals fehlte.

    Und wie schön ist es, wenn wenigstens Oma und Opa oder andere Menschen da sind, hier helfend einzuspringen.

    Schön daß Du hier warst.
    Herzlichst
    Evelyn

  4. 4. KSL

    Kommentar vom 9. September 2010 um 22:39

    Seit 10 Jahren wohne ich in Deutschland und muss leider feststellen, dass auf viele Weisen solches Fehlverhalten von Vätern verlangt wird. Ein Mädchen wurde von der Mutter geprügelt. Die Schulleiterin rief beim Jugendamt an und sagte, „Das Kind MUSS zum Vater!“ Und die Äußerung der Dame beim Jugendamt an den Vater? „Das geht nicht – Sie müssten dann das Kind erziehen, und sie müssen doch arbeiten!“ Ja, als Freiberufler in meinen eigenen vier Wänden. Genau wie die Mutter. Aber für den Mann ist das anders: „Arbeit macht frei!“

    In zwei Ländern bin ich schon als Sondermüll behandelt worden, weil ich Kinder und Tiere als Priorität verstanden habe. Aber mein teueres Glück ist nicht zu kaufen.

  5. 5. Hans-Werner Klaffl

    Kommentar vom 9. September 2010 um 23:58

    Eine Richterin sagte einmal: „Ein Vater ist auch dann ein Vater, wenn er die Alimente nicht bezahlen kann.“

    Und wenn man beobachtet, dass in Kindergärten Kindergärtnerinnen Kinder betreuen, in Schulen viele Lehrerinnen unterrichten und bei Problemen oft Kinderpsychologinnen für Kinder zuständig sind, dann weiß man, dass „der Vater“ nicht mehr präsent ist. Denn auch bei alleinerziehenden Müttern, lernen Kinder einen Vater bestenfalls noch an Wochenenden kennen oder im Urlaub.

    Der Vater und damit „das männliche“ fehlen in unserer Gesellschaft, fehlen für Kinder. Und Kinder, die den Vater vermissen, haben schlechte Karten, ihre Sehnsucht zu stillen.

    Bis hin zur „Supernanni“ sind Frauen dominant in Sachen „Kindererziehung“ und Frauen sind oftmals ratlos. Sie selbst sagen, dass da was fehlt, auch sie fühlen sich alleingelassen.

    Und wenn nun immer mehr Frauen ins Berufsleben drängen, dann ist es wohl auch so, dass Männer bei der Erziehung von Kindern öfte wieder eine wichtige Rolle haben werden. Aber ist die Gesellschaft nun vorbereitet, Männer besser in dieser neuen Rolle anzuerkennen, als die Frauen früher wurden. Oder verschiebt sich alles nur, wird das eigentliche Problem wieder nicht gesehen.

    Es sind die Kinder, auf deren Schultern das alles ausgetragen wird. Und es geht ihnen nicht gut, diesen Kindern.

    Ja, es darf sich was ändern, das sehe ich auch so. Und es darf sich bald was ändern, den Kindern zuliebe…

    Liebe Grüße

    Hans-Werner