Existenzangst, oder: „Ich“ kann und muss gar nichts

Als ich 2008 von Süddeutschland nach Berlin zog und beschloss, eine AktuellesZeitlang mal die Selbständigkeit Selbständigkeit sein zu lassen und mir einen festen Job zu suchen, erzählten mir die meisten Menschen, es sei sehr schwierig zur Zeit einen Job in Berlin zu finden und überhaupt müssten wir mit dem Schlimmsten rechnen, was die Zukunft anginge.

Im Laufe meines Aufenthalts dort  – der, was ich damals noch nicht wusste, nur ein Jahr dauern sollte – und bis heute traf und treffe ich auf viele Menschen, die mir von ihren Ängsten in Bezug auf Finanzkrise, Geld, Job und Überleben erzählten. Es liegt wortwörtlich in der Luft.

Ich merkte dabei, dass – wenn hier ein Mitgehen war mit diesen Gedanken – Angst aufstieg… eine Angst, die ich nicht wollte. Wenn ich den Geschichten, die sie erzählten, Glauben schenkte, trat entweder Lähmung ein („ohje, ich bin erledigt!“) oder eine Art zwanghaftes Handeln, ein Getriebensein, um die Angst zu vermeiden, um „mich“ zu retten („Ich muss etwas tun, sonst passiert was ganz Schlimmes“) ….. Beides fühlte sich unwohl an…. aber sie ließ mir keine Ruhe. Sie zwang mich gewissermaßen, genauer hinzusehen……

.. und da fiel mir auf… dass wenn ich im Moment hinsah, war alles in Ordnung: ….  es gab ein Dach überm Kopf, ein warmes Bett zum Schlafen, genug und gut zu essen.. und… liebe Menschen, mit denen ich über alles reden konnte. Aber das schien nicht genug. Im Kopf ging es hoch her und etwas in mir glaubte steif und fest, dass es da ein Problem gab… und dass die Sache mit dem Dach überm Kopf nur ein Trösten sei, um die Angst wieder loszuwerden.

So geschah noch genaueres Hinsehen.. und da fiel mir dann auf, dass die Angst eine Art von Abwehr war… dass darunter Hilflosigkeit war…. angesichts der Unkontrollierbarkeit des Lebens…. totale Hilflosigkeit, die „ich“ nicht haben wollte.

Was für ein Geschenk… zu sehen, dass „ich“ total hilflos bin…. tiefer Frieden kehrte in mir ein in dem Sehen: „Ich“ kann nicht überleben. „Ich“ kann gar nichts und „ich“ muss es auch nicht.

Aber das scheinbare Problem schien nicht geklärt zu sein… denn die Angst stieg nur wenig später wieder auf…. wie wenn sie mich ermahnte, nicht aufzugeben.. weiter hinzusehen… da war also noch etwas….. und so sah ich plötzlich,…. dass die Angst eigentlich die Angst vor dem totalen Kontrollverlust, dem Nichts ist, dem Aus, dem Tod…. Als das gesehen wurde, war es wieder ganz still…… ein tiefes Lauschen geschah.. ein Lauschen in diese Stille hinein…..

… dabei wurde plötzlich sichtbar: Mann! Das Nichts, vor dem „ich“ solche Angst hatte, ist ja schon.. genau jetzt! Es ist ja schon nichts!

Existenzangst

Es wurde gesehen, dass die Gedanken eine Geschichte erzeugen von einer Person, die in Gefahr ist, von einer bedrohlichen Zukunft und von dem Sterben dieser Person…. und all das wurde plötzlich als eine wilde Geschichte, eine Erfindung des Denkens durchschaut… ein Drama, erzeugt aus der nackten Angst vor dem Nichts.. Genauer: vor einer Vorstellung dieses Nichts… denn in Wirklichkeit wurde es als tiefe, wunderbare Erleichterung empfunden, dass da Nichts ist und dass Es nur in Gedanken so erschien, als lebte da jemand mitten in einer Gruselstory.

Erst durch dieses Hinsehen konnte die Angst mehr und mehr gehen. Erst als nichts mehr übrig blieb von der Geschichte… als sie wirklich gänzlich durchschaut war als das, was sie ist – ein Hirngespinst – hatte die Angst ihre Arbeit getan und konnte gehen.

Das heißt nicht, dass diese Gedanken .. in anderer oder ähnlicher Gestalt nicht wieder aufstiegen. Sie erzählen weiterhin – immer wieder mal – von jemandem, der ein Problem hat und der ums Überleben kämpfen müsste. Geschichten… erscheinen, um immer wieder „erlöst“ zu werden, d. h. um als das durchschaut zu werden, was sie sind: Geschichten.

Gedanken erzählen – wie es sich die Menschen über all die Jahrtausende erzählt haben – dass da jemand ist, der sterben wird und dass das, was dann übrigbleibt – Nichts – fürchterlich sei.

Aber wenn es – auch jetzt wieder – hinsieht, ist da Nichts. Und dieses Nichts entpuppte sich… wenn es nicht abgewehrt wird….. als Fülle… als Erfülltsein schlechthin.. als die/der Geliebte, der darauf wartet, dass du aufhörst, sie/ihn zu suchen.

Das Schöne an all dem ist für mich zudem, dass wenn hier „Ichen“ geschah und die Ich-Geschichte durchschaut wurde als Das, was sie ist: die Geliebte, die einlädt zu sehen, dass sie bereits ist…. dann geschah ein Verliebtsein in, ja, tiefes Mitgefühl mit diesem „kleinen Ich“, das sich so sehr bemüht, zu überleben, alles richtig zu machen, im Griff zu haben, um eine scheinbare Katastrophe zu verhindern….

Denn auch „Ichen“ ist die Einladung des/der Geliebten, total „Ich“, total Getrenntsein zu spielen… bis Es sich als das zeigt, was Es wirklich ist: Liebe in dieser Gestalt.

Dezember 2009, Gabriele Rudolph


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