Traurigkeit ist auch ein Geschenk

© Andrea Marchetti

Traurigkeit kann zu einer sehr bereichernden Erfahrung werden. Du musst sie ausarbeiten. Es ist einfach, vor deiner Traurigkeit zu fliehen – und alle Beziehungen sind gewöhnlich Fluchtwege, man vermeidet sie einfach dauernd. Und Traurigkeit ist immer unterschwellig da … die Unterströmung bleibt bestehen. Sogar in Liebesbeziehungen bricht sie oft aus. Dann neigt man dazu, die Verantwortung auf den anderen zu werfen, aber das ist nicht die Wahrheit. Es ist deine Einsamkeit, deine eigene Traurigkeit. Du hast sie noch nicht angenommen, daher wird sie wieder und wieder hervorbrechen.

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Du kannst dich in Arbeit flüchten. Du kannst dich in eine andere Beschäftigung flüchten, in Beziehung und Gesellschaft, dies und das, ins Reisen, aber sie wird nicht weggehen, denn sie Teil deines Seins.

Jeder Mensch ist alleine geboren – in der Welt, aber alleine; er kommt durch die Eltern, aber alleine. Und jeder Mensch stirbt alleine, er geht aus der Welt wieder alleine. Und zwischen diesen beiden Einsamkeiten täuschen und betrügen wir uns ständig. Es ist gut, mutig zu sein und in diese Einsamkeit einzutreten.

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Wie hart und schwierig es auch immer am Anfang aussehen mag, es zahlt sich immens aus. Wenn du dich einmal mit Traurigkeit abgefunden hast, wenn du einmal damit beginnst, sie zu genießen, wenn du sie einmal nicht mehr als Traurigkeit, sondern als Stille fühlst, wenn du einmal verstehst, dass es keinen Fluchtweg gibt, dann entspannst du dich.

© Andrea Marchetti

Nichts kann damit getan werden, warum Traurigkeit also nicht genießen? Warum nicht tief in sie hinein gehen und einen Geschmack von ihr bekommen, sehen, was sie ist? Warum unnötigerweise Angst vor ihr haben? Wenn sie hier sein wird und sie eine Tatsache ist – existentiell, nicht zufällig – warum dich also nicht mit ihr abfinden? Warum nicht in sie gehen und sehen, was sie ist?

© Andrea Marchetti

Die Methode:
Wann immer du dich traurig fühlst, sitze still und erlaube der Traurigkeit, hoch zu kommen: Versuche nicht, vor ihr zu flüchten. Mache dich so traurig wie du nur kannst. Vermeide sie nicht – das ist die eine Sache, an die du dich erinnern musst. Schreie, weine … habe den ganzen Geschmack von ihr. Weine dich zu Tode … falle auf die Erde … rolle dich – und lasse sie von selbst gehen. Zwinge sie nicht, zu gehen; sie wird gehen, denn niemand kann in der gleichen Stimmung bleiben.

© Andrea Marchetti

Wenn sie geht, wirst du unbelastet sein, völlig unbelastet, als ob die ganze Schwerkraft verschwunden ist und du fliegen kannst, du bist schwerelos. Das ist der Moment, in dich zu gehen. Bringe zuerst die Traurigkeit zum Vorschein. Normalerweise neigt man dazu, sie nicht zuzulassen; andere Wege und Mittel zu finden, damit du woanders hinschauen kannst – in ein Restaurant zu gehen, in ein Schwimmbad zu gehen, Freunde zu treffen, ein Buch zu lesen oder in ein Kino zu gehen, Gitarre zu spielen – etwas zu tun, damit du beschäftigt bist und du deine Aufmerksamkeit woanders hinbringen kannst.

© Andrea Marchetti

Daran sollte man sich erinnern – wenn du traurig bist, verpasse nicht die Gelegenheit. Schließe die Türen, setze dich hin und sei so traurig, wie du kannst, als ob die Welt nur eine Hölle ist. Gehe tief in sie … sinke in sie ein. Erlaube jeden traurigen Gedanken, in dich einzudringen, jedes traurige Gefühl, dich aufzuwühlen. Und schreie und weine und sage Dinge – sage sie laut, du musst dir um nichts Gedanken machen.
(Seelenenergetik)

© Andrea Marchetti

Trauer ist ein wertvolles Gefühl – und wert, vollständige Aufmerksamkeit zu erhalten. Unter dem Stichwort „Trauer“ findest Du hier auf dem Blog weitergehende Anmerkungen, auch eine Buchempfehlung, die zahlreiche Übungen beinhaltet. Sei es Dir wert, diese Trauer wirklich-wirklich zu fühlen. Sie ist ein so großes Geschenk.

Herzlichst

Evelyn

Mentorin auf Zeit


4 Kommentare

  1. 1. Tobias

    Kommentar vom 5. Mai 2012 um 10:34

    Liebe Evelyn,
    wenn das mal so einfach wäre, oft sind Wut und Trauer ‚vertauscht‘- wo wir wütend werden sollten, werden wir traurig, (böse Kinder mag ja keiner)und umgekehrt wenn wir eines Verlustes gewahr werden, werden wir wütend auf die Umstände etc.
    In der Meditation gibt es eine Art von Traurigkeit, die nichts weiter bedeutet als: ‚in der Tiefe deines Herzens angekommen zu sein‘ das hat dann nichts mit Befindlichkeit zu tun.
    Von depressiven Menschen höre ich immer wieder, dass sie darunter leiden ’nicht mal mehr traurig sein zu können‘ so stark sei das ‚Nichts‘- ‚Traurigsein‘ ist ein Ventil, ganz wichtig ‚ins fließen kommen‘ eine Ressource für Lebensqualität.
    vlG Tobias

  2. 2. Evelyn

    Kommentar vom 5. Mai 2012 um 11:02

    Moin, lieber Tobi.

    Ja, da stimme ich Dir zu. Wut ist ein Gefühl, das „gerne“ abgelehnt wird, ganz, ganz tief versteckt wird, andere Gefühle werden darüber gelagert, um bloß dieses Gefühl nicht zu spüren. Und ich kenne ganz, ganz viele Menschen, die stolz von sich behaupten, nie wütend zu sein! Welch ein Irrglaube. Ich mag diesen Satz von Dir gerade sehr: ‚Traurigsein‘ ist ein Ventil, ganz wichtig ‚ins fließen kommen‘ eine Ressource für Lebensqualität. Er ist absolut stimmig. Vielleicht macht genau dieser Satz dem einen oder anderen Mut, hier tiefer nachzuspüren.
    Bis demnächst. Herzlichst Evelyn

  3. 3. Sophie

    Kommentar vom 28. Mai 2012 um 20:06

    Guten Abend und vielen Dank für diesen Blog. Ja, der Mensch darf traurig sein und auch wütend. Meine Wut drücke ich schreiend im Wald aus oder ich versuche mit dem Wort ein Stück Freiheit. Ohne meine Tränen hätte ich es nicht bis hier geschafft. Ich grüße ganz herzlich Sophie

  4. 4. Evelyn

    Kommentar vom 28. Mai 2012 um 21:25

    Tränen sind so wichtig, liebe Sophie! Tränen zeigen, daß unsere Seele uns heilt. Und wie schön, daß Du einen Weg gefunden hast, Deine Wut auszudrücken. Ich mache das gelegentlich auch so – oftmals auch im Auto. Da kann ich auch gut los schreien, ohne daß sich jemand ängstigt.

    Danke für Deine Mitteilung, Sophie.
    Herzlichst
    Evelyn

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