Kranke erster, zweiter oder dritter Klasse?

Die Diskussionen um das Gesundheitswesen treiben immer mehr Stilblüten.

Wie den Medienberichten zu entnehmen ist, warten gesetzlich Versicherte häufig länger auf einen Arzttermin als Privatversicherte, was bedeutet, daß Privatversicherte schneller einen Behandlungstermin erhalten.

Auch werden vielfach von den Ärzten Heilbehandlungen bei gesetzlich Versicherten kontingentiert –  im Gegensatz zu den privat Versicherten. Diese lehnen mitlerweile vielfach Behandlungen ab mit der Begründung: medizinisch nicht notwendig.

Und es ist lukrativ für die Arztpraxen, Privatpatienten zu haben, da die Abrechnungssätze höher liegen als bei den gesetzlich Versicherten. Vielfach erfolgt dadurch auch eine Kompensation mit den geringeren Gebührensätzen bei den GKV’s.

Doch wie ist es mit denen, die zwar privat versichert sind, allerdings ausschließlich in dem sogenannten Basistarif der Privaten Krankenversicherung(en)?

© Andrea Marchetti

Dem Gesetzgeber war daran gelegen, daß ein jeder Mensch einen bezahlbaren Krankenversicherungsschutz hat. Ein Basistarif bei den Privaten Krankenversicherungen (PKV) soll(te) die gleichen Behandlungen ermöglichen wie bei der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV); es kam anders. Es gibt kaum Ärzte, die für die Gebührensätze des Basistarifs, die weit unterhalb der Gebührensätze für die gesetzlich Krankenversicherten liegen, bereit sind zu arbeiten. Und damit haben wir eine Dreiklassenmedizin!

© Andrea Marchetti

Wieder also einmal mehr:
Theorie und Praxis ist (und bleibt?)   zweierlei. 🙁

Sehen Sie hier die Reportage von „Kontraste“ zum Thema

Behandlung 3. Klasse –
Privat krankenversichert im Basistarif“,

die am 28.10.2010 lief. Ich konnte nur staunen über das, was ich hörte/sah.

Und so klafft wieder einmal mehr eine Lücke zwischen Istzustand und Sollzustand. Und ganz, ganz viele Menschen sind heute noch immer ohne Versicherungsschutz, auch ALG II-Empfänger.

Ich frage mich ernsthaft:

© Andrea Marchetti

Auf wessen Kosten werden Gesetzeslücken ausgetragen? Auf Kosten der kranken Menschen, auf Kosten derer, die keinen Versicherungsschutz erhalten, aus welchen Gründen heraus auch immer.

Zumindest kann ich eines sagen:
Das Gegenteil von „Gut gemacht“ ist „Gut gemeint“

Welche  Gedanken bzw. Erfahrungen haben Sie in diesem Bereich?

Evelyn

– Mentorin auf Zeit –

Nachtrag:

Diesen Bericht über eine in 2009 eingereichte und durch den Bundestag abgelehnte Petition fand ich; ich sag ja, Theorie und Praxis sind halt zweierlei.


7 Kommentare

  1. 1. Claere

    Kommentar vom 8. November 2010 um 08:11

    Zur Medizin der 3. Klasse gehören ebenfalls privat Versicherte mit Standardtarif .
    Hier zahlt man Unsummen von Beiträgen und bekommt keine Leistung. Die Leistungen sind gleich denen des Basistarifes.
    Der Standardtarif wurde für Rentner (mit einer Mini Rente )eingerichtet, kann laufend erhöht werden und die Leistungen beinhalten ebenfalls nicht einmal die der GKV.
    Claere

  2. 2. Erika Reichardt

    Kommentar vom 8. November 2010 um 18:54

    Nicht nur, dass man nach Arztbesuchen ständig auf einem beträchtlichen Teil der Rechnung sitzen bleibt, das ganz perfide ist zudem, dass beim Wechsel in einen Basistarif ein fiktiver Risikozuschlag erhohen wird, der ein „Zurück“ völlig unmöglich macht. So habe ich, trotz nachgewiesener besserer Diagnose, einen Zuschlag von 150 %, die ich beim Zurück mehr zahlen müßte als vorher.
    Ich würde gern die Politiker fragen, wem mit diesem Tarif gedient sein soll.
    Erika

  3. 3. Karin (67)

    Kommentar vom 15. November 2010 um 14:09

    Liebe Mitbetroffene, nach über 30 Jahren als Privatversicherte war der Beitrag zur PKV so drastisch gestiegen, dass ich diesen nicht mehr bezahlen konnte. Und so begab ich mich zum Sozialamt, um evtl. von dort Hilfe zu bekommen. Die sah dann folgendermaßen aus: Alles verkaufen, was ich mir in 30-jähriger Selbstständigkeit erarbeite hatte (bis ich dann so erkrankte, dass ich alles verkaufen musste) und mein Erbe von den Eltern, dann raus aus der Wohnung und in eine 44 qm große (kleine) Wohnung. Nun bin ich zu 100 % schwerbehindert, sodass ich wenigstens ein Speditionsunternehmen engagieren konnte. Dann raus aus dem Privattarif und rein in den Basistarif, obwohl ich chronisch krank bin. Manchmal bin ich so depremiert, weil ich nicht weiß, wie es weitergehen soll. Von jedem Beitrag trifft mindestens ein Absatz auf mich zu.
    Mit den Ärzten habe ich im großen und ganzen Glück gehabt, obwohl sie nicht alle ihre Leistungen erstattet bekommen. Ich lege treu und brav meine Versichertenkarte vor, und wenn sich die Ärzte daran nicht halten, ich verweise auf meine PKV.
    In gedanklicher Verbundenheit
    Karin

  4. 4. Evelyn

    Kommentar vom 16. November 2010 um 12:39

    Ich danke Ihnen sehr, meine Damen,

    für Ihren Mut und für Ihre Offenheit hier zu schreiben. Ich denke, daß es ganz, ganz viele Menschen gibt, die von diesem Thema betroffen sind – und es dennoch voller Scham verschweigen.

    Ich bin überzeugt, daß sich – je mehr Betroffene sich zu diesem Thema äußern – hier auf Sicht etwas ändern muß und wird!

    Weiterhin viel Mut und Kraft Ihnen wünschend.

  5. 5. Frauke Danker

    Kommentar vom 31. Mai 2011 um 12:51

    Wir unterliegen dem Klassensystem seit Jahren in allen Bereichen, unmerklich und schleichend zunächst, nun immer offener.
    Die englischen Verhältnssse im Gesundheitswesen haben wir längst überholt. Nur, dass in GB und Commonwealth die freie kostenlose Gesundheitsvorsorge gesetzlich verankert ist, während hier jedem die Taschen für ein marodes und undurchdachtes System geleert werden in oft menschenverachtender Art und Weise!(Z.B. OP- Termine für gesetzl. Versicherte, oft voernthaltene Verschreibung lebensnotwendiger Medikamente…)
    Die Basis Versicherung,eine der teuersten mit eingeschränkter Leistug wurde für diejenigen eingerichtet, die ihre Beiträge nicht mehr leisten können, eine Rückführung in die gesetzl. Versicherung per Gesetz jedoch ausgeschlossen ist, wir aber alle in der BRD per Gesetz verpflichtet sind, krankenversichert zu sein.

    Eine Gesundheitsreform hat es nie gegeben– höchstens eine Deformierung und Augenwischerei innerhalb eines kranken Systems mit Hilfe einer großen Lobby,die am Kranken verdienen.
    Anders kann es nicht mehr gesehen werden.

  6. 6. Evelyn

    Kommentar vom 4. Juni 2011 um 00:55

    Da sprichst Du mir voll aus dem Herzen! Kennst Du den Film „Sicko“ von Michael Moore? Du findest einen Trailer in meinem Beitrag hier zu „Macht und Machtmissbrauch“:

    http://www.freiraum-der-blog.de/grenzueberschreitung/macht-und-machtmissbrauch/

    Irgendwie hab ich den Eindruck, daß es doch sehr bequem ist, wenn die Menschen kränker werden. Damit sind sie doch besser zu manipulieren …

    Ich wünsche mir sehr, daß die Betroffenen eine Anwaltskanzlei finden, die die Sammelklage für sie führen. Denn es ist menschenverachtend, was hier abläuft!

  7. 7. André

    Kommentar vom 4. August 2011 um 19:09

    Meine Antwort passt zwar nicht genau zur Fragestellung, aber dennoch möchte ich mich dazu äussern. Ich bin „normaler“ Privatpatient (also nicht im Basistarif), seit 10 Jahren Kunde, vom ersten Tag an mit Risikozuschlag, und habe ca. 7 Jahre keine Rechnungen eingereicht. Nach einer Erkrankung Anfang 2010 habe ich Krankentagegeld erhalten, verbunden mit unregelmässigen „Besuchen“ meines Sachbearbeiters und laufenden Kontrolluntersuchungen bei verschiedenen Ärtzen, denen ich auch stets nachgekommen bin.

    Mit dem 7. Gutachtertermin im Februar 2011 hat die PKV schliesslich einen Gutachter gefunden, der endlich schreibt dass ich „nicht mehr völlig arbeitsunfähig“ bin. Und das bedeutet, dass die KTG-Zahlung komplett eingestellt wird!

    Mein Resümee:
    Ich versichere mich um im Ernstfall meine Existenz zu sichern – wenn es aber so weit ist dann tut die PKV wirklich alles um nicht mehr zahlen zu müssen!

    Perverserweise hat mir der Vorstand schriftlich zum 10jährigen Jubiläum gratuliert – mit den Worten „Der Wert einer Partnerschaft misst sich an Beständigkeit und wächst mit der Zeit“!

    Seitdem ich die PKV auch einmal Geld koste werden eingereichte Rechnungen ohne Begründung nicht bezahlt oder die Bezahlung wird hinausgezögert, die Zuständigkeiten wechseln, neue Personen müssen sich erst einarbeiten usw. – inzwischen läuft das Ganze über Anwalt und Gericht, die Dauer ist noch nicht absehbar.

    Ein Antrag auf einstweilige Verfügung zwecks Sicherung der Existenz wurde abgelehnt – eine Pleite ist kein ausreichender Grund um schneller eine Lösung zu finden! Lieber liege ich dem Staat auf der Tasche als meinem Vertragspartner PKV!

    Zwischenzeitlich wurde ein neuer (8.) Untersuchungstermin angesetzt – natürlich genau bei der Praxis die mich als „nicht mehr völlig arbeitsunfähig“ bezeichnet hat! Dieser Termin war eine Farce – eine Zeugin die ich mitgebracht hatte wurde rausgeworfen, in Absprache mit meiner Anwältin wurde die Untersuchung abgebrochen. Dies war am 5.7. – bisher hat die PKV meiner Anwältin nur geschrieben dass ich den Termin wahrgenommen habe und dass sie sich meldet wenn das Ergebnis (wie soll das denn aussehen??) vorliegt!

    Noch anzumerken ist die Tatsache, dass ich auch im Zeitraum Februar 2011 bis heute mehrfach Atteste von 3 verschiedenen Ärzten vorweisen kann, die einheitlich bestätigen, dass ich zu 100% arbeitsunfähig bin – laut Aussage der PKV hat das aber gar nichts zu bedeuten!

    Bedingt durch viele Gespräche kenne ich inzwischen mehrere Personen in ähnlicher Lage, auch im teuren Normaltarif, und suche weitere Betroffene zwecks Gründung einer bundesweiten Interessengemeinschaft. Einige Kontakte zur Presse sind bereits hergestellt. Ich bin für jeden Hinweis bzw. für eine Kontaktaufnahme sehr dankbar!
    Beste Grüße
    André

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