Stalking – der Kreislauf der Angst

Ingrid Pfeifer

Ingrid Pfeifer

Als ich letztes Jahr online einen Mann kennenlernte, dachte ich: Ja, das könnte was werden. Wir hatten dieselben Interessen und vieles Gemeinsam. Nach Wochen des Mailens folgten die ersten Anrufe. Als ich dann für 2 Wochen mit einem Bekannten an der Ostsee war, trafen die ersten sehr verletztenden und sehr eifersüchtigen sms ein. Beinahe im Minutentakt. Ich versuchte Klarzustellen und Richtigzustellen. Brachte Verständnis entgegen, weil ich dachte, o.k. in meinem Alter (41) hat jeder seine ganz eigene Vorgeschichte. Persönlich hatten wir uns noch nicht kennengelernt, das sollte in ein paar Wochen folgen.

Dann war es soweit: wir lernten uns persönlich kennen. Es war sicher nicht Liebe auf den ersten Blick, aber ich wollte uns eine Chance geben. Bereits nach wenigen Wochen wurde mir die „Beziehung“ zu eng, ich hatte keine Luft mehr zum Atmen, denn es kamen ständig sms, Anrufe, mails…  Ich machte den ersten Versuch, die Beziehung zu beenden. Mit fatalen Folgen. Ich wurde erpresst: er würde sich das Leben nehmen, wenn ich die Beziehung beende, etc.

© Andrea Marchetti

Stundenlange Gespräche, Einlenken meinerseits, Lügen meinerseits. Erste Angst stieg in mir auf, es gab keine Ruhe mehr. Antwortete ich nicht umgehend auf eine sms, hatte ich ein Verhältnis, Beleidigungen und Unterstellungen. Ich wurde auf der Arbeitsstelle terrorisiert mit Anrufen, so daß mein Telefon abgestellt werden mußte. Er versuchte es weiter, gab sich immer als jemand anders aus, um von der Vermittlung zu mir durchgestellt zu werden. Briefe auf der Arbeit, Liebesschwüre, Gelobe der Besserung…

© Andrea Marchetti

Dann eines morgens Abfangen im Flur: aus Angst habe ich ihn wieder in meine Wohnung gelassen. Er hatte sich telefonisch als mein Lebensgefährte ausgegeben, um zu erfahren, wann ich zuhause sein würde. Wieder stundenlanges bedrohliches Weichkochen… Dann das Ende meiner Kräfte: ich wollte einfach nur noch meine Ruhe. Als er wieder weg war, Handy-Nummer-Änderung. Durch Einschalten eines Hackers hatte ER meine neue Handy-Nummer schneller als meine Freunde. Durch Abrufen meiner persönlichen Mails Bedrohen meiner männlichen Bekannten inklusive Zerstörung der Computer durch Viren-Versendung.

© Andrea Marchetti

Schlafen in Kleidung, weil ich vielleicht nachts raus muß. Kein Licht mehr machen, damit er nicht merkt, daß ich zuhause bin. Wenige Wochen später: Anzeige bei der Polizei, da die Bedrohungen massiver wurden. Auf Anraten der Polizei war ich dann 14 Tage in Deutschland kreuz und quer unterwegs. Habe in Hotels geschlafen, bei Kollegen, auf dem Boden, überall, wo er mich nicht finden konnte. Das Handy auseinandergebaut zuhause auf meinem Tisch.

© Andrea Marchetti

Dann endlich der Anruf der Polizei, er sitzt in U-Haft… Erleichterung stellte sich nicht ein – im Gegenteil. Ich bin gefangen im Kreislauf der Angst, obwohl ich weiß, daß er jetzt „sitzt“… Jedes Klingeln des Handys oder an der Tür löste wahnsinnige Angst aus, jeder Gang zum Briefkasten: Angst, jedes Mal, wenn die Bürotür aufgeht: Angst…

Dann folgte die Ladung zum Prozess: ich will nicht, das schaffe ich nicht, ich will ihn nie wiedersehen!!! Ich habe es geschafft und in der Tat gegen ihn ausgesagt. Er ist auf Bewährung auf freiem Fuß und beileibe kein unbeschriebenes Blatt. Ich hatte meine Ruhe. Ja, er hat aufgehört. Aber meine Angst nicht… Mühsames Stellen der Angst, Anschauen und IHN entmachten, wieder versuchen, ein normales Leben zu führen. Wahnsinn… Die große Frage: warum habe ich ihm so viel Macht gegeben? Was ist mein An-Teil daran?

© Andrea Marchetti

Einige Monate später dann endlich die Kraft, meine Erfahrungen weiterzugeben, um anderen Betroffenen weiterzuhelfen.

Da zu sein, wenn sie Hilfe brauchen, Mut und Kraft schenken, nicht mehr JA zu sagen, wenn NEIN gemeint ist…

– Ingrid Pfeifer –

Heute ist Ingrid glücklich verheiratet und leistet viel für die Öffentlichkeitsarbeit i.S. Stalking, sie hilft Betroffenen, aus diesem Kreislauf herauszukommen.

Und das ist möglich! Doch dazu bedarf es halt auch kompetenter Untestützung, die es gilt, auch anzunehmen.

Herzlichst

Evelyn

Mentorin auf Zeit


7 Kommentare

  1. 1. ew-b

    Kommentar vom 14. Oktober 2009 um 16:27

    Liebe Ingrid, ich danke Dir herzlich für diesen Beitrag, und für Dein Engagement mit der Initiative „Gemeinsam gegen Stalking“. Ich bewundere die Stärke, die Du für Dich da heraus gezogen hast. Und insbesondere hab ich Dein Buch „Die Bankrotterklärung meiner Seele“ verschlungen, welches die Zusammenhänge und Hintergründe einmal mehr verdeutlicht. Und ich entnehme dem, daß – wieder einmal mehr – wir häufig so lange die Partner finden, bei denen wir „Zuhause“ sind, wo wir also das weiterleben, was wir vorgelebt bekamen.
    Bei allem dem, was Du in Deinem Leben, insbesondere durch das Stalking, erlebtest: Was ist Dein Geschenk? Welches ist die Erkenntnis, die Du aus alle dem mit herausnimmst für Dein heutiges Leben? Liebe Grüße – Evelyn

  2. 2. Ingrid Pfeifer

    Kommentar vom 15. Oktober 2009 um 09:36

    Liebe Evelyn,
    das Geschenk ist ganz sicher mein Partner, den ich über meine Initiative kennengelernt habe und ich nun nach so vielen Jahre ein wirklich liebevolle Beziehung mit ihm leben kann.
    Die Erkenntnis: manchmal muß man den „alten“ Kreislauf durchbrechen, auch wenn es leidvoll ist, um Neuem Platz zu schaffen. Alte Denkmuster über Bord werfen, um neuen den Raum zu schaffen. Es mag sich leicht anhören, ist aber ein langer und manchmal sehr steiniger Weg…

  3. 3. admin

    Kommentar vom 25. Oktober 2009 um 12:11

    Liebe Ingrid,
    daß das Stalking zugenommen hat, zeigt eindrucksvoll die nachfolgende Übersicht:
    http://www.senatspressestelle.bremen.de/detail.php?id=22596
    Und ich finde es gut, dass es immer häufiger gelingt, den Stalker zu fassen und zu verurteilen. Vielleicht schreckt es den einen oder die andere endlich davon ab, hier eigene Persönlichkeitsstörungen bei anderen abreagieren zu müssen und sich statt dessen professionelle Hilfe zu suchen, an diesen eigenen Defiziten zu arbeiten.

  4. 4. Ingrid Pfeifer

    Kommentar vom 26. Oktober 2009 um 13:57

    Einerseits sind es erschreckende Zahlen, aber auch Zahlen, die Hoffnung machen. Hoffnung, daß endlich der Stalking-Parapraph richtig „greift“ und dadurch immer mehr Stalker auch die Konsequenzen für ihr Handeln tragen müssen.

  5. 5. Evelyn

    Kommentar vom 4. Januar 2010 um 12:27

    Hallo Ingrid,

    mir fiel gerade heute der nachfolgende Link zu; vielleicht ja auch für den einen oder anderen, der das hier liest, von Interesse:
    http://www.psychosoziale-gesundheit.net/bb/05stalking.html

  6. 6. Ingrid Pfeifer

    Kommentar vom 5. Januar 2010 um 09:24

    Liebe Evelyn,

    die Rechtslage ist zwischenzeitlich und glücklicherweise längst überholt. So gilt Stalking seit 31.03.07 durch den §238 StGB als eigener Straftatbestand und wird lediglich durch das Gewaltschutzgesetz ergänzt.

  7. 7. Evelyn

    Kommentar vom 11. Mai 2011 um 19:36

    Liebe Ingrid,

    kennst Du dieses Urteil bereits:

    http://www.kostenlose-urteile.de/BSG-Stalking-ist-nicht-generell-als-taetlicher-Angriff-anzusehen.news11445.htm

    Viele Grüße Evelyn

    PS: Bist Du mit DeinerPrüfung durch?

Einen Kommentar schreiben