Leben – ein Geschenk oder ein Geschäft?

Tod

© Evelyn Worbs

Das Leben bekommen wir geschenkt. Wir wachsen im Bauch der Mutter heran, nehmen da bereits über sie Kontakt mit unserer Außenwelt auf. Dann kommt die Geburt. Wir bekommen Nahrung, zu Trinken, die Windeln werden gewechselt – und wir werden geliebt, wenn wir  Glück haben.  Wir fangen an zu krabbeln, die ersten Schritte erfolgen und wir wachsen heran. Kommen in die Schule, lernen und sammeln Erfahrungen mit dem Groß werden. Und dann auf einmal ist man/frau mit 18 Jahren endlich erwachsen:

Ich lernte einen wunderbaren Mann kennen und lieben. Er war gut 12 Jahre älter als ich. Er führte mich aus, verwöhnte mich mit Geschenken, unternahm viel mit mir und hörte mir vor allem zu. Er machte all das, was ich bislang nur aus Erzählungen kannte. Er war zärtlich, überraschte mich immer wieder, machte Komplimente und wir konnten viel gemeinsam lachen. Auch schmiedeten wir Pläne für unsere gemeinsame  Zukunft. Er sah mich als Frau, was mir sehr gefiel. Mein Gott, fühlte ich mich erwachsen!

© Andrea Marchetti

Und eines Tages waren wir wieder einmal im Bett, ich voller Vertrauen und Zärtlichkeit. Doch diesmal sollte es anders sein, denn – ohne daß ich es bemerkte – kamen zwei weitere Männer hinzu und so wurde es zu einer unfreiwilligen „Party zu viert“. Ein Wehren war unmöglich, ein Schreien ebenso; innerlich rief ich nur um Hilfe und ich hatte Angst. Angst zu sterben, es nicht auszuhalten. Als die drei fertig waren,  kam ein „hat Spaß gemacht“ – und mit einem höhnischen Lachen  verabschiedeten sich alle drei.

Ich fühlte mich verraten, verletzt, schmutzig und unrein. Die Tränen rannen weiter über meine Wangen, und ich rollte mich für einen Moment zusammen, wie eine Katze; mir tat alles weh, alles. Das Duschen brachte keine Besserung, der Schmutz war da, ich konnte mich waschen, so viel ich wollte – es veränderte nichts.

© Andrea Marchetti

Sprechen? Mit wem? Ich war voller Scham. Und dann packte mich die Wut – ich ging zur Polizei und zeigte meinen „Freund“ an. Die Namen der anderen kannte ich ja nicht. Und dann wurde es noch heftiger. Als mein ehemaliger Freund davon erfuhr, schickte er mir Leute hinterher, versuchte in meine Wohnung einzubrechen und drohte, mich umzubringen. Ich traute mich keinen Schritt allein mehr aus der Wohnung. Hilfe von der Polizei? Fehlanzeige!

Der Prozeßtermin rückte immer näher und meine Angst wuchs mit jedem Tag ein Stück mehr. Und ich faßte einen einsamen Entschluß: Ich rief meinen ehemaligen Freund wenige Tage vor Prozeßbeginn an und schlug ihm ein Geschäft vor: Er läßt mich am Leben – und ich widerrufe meine Aussage. So geschah es auch. Ich verleugnete meine eigenen Aussagen, ich verleugnete meine Erfahrungen, ich verleugnete mich selbst und stellte mich zusätzlich noch als eifersüchtig dar, um den Grund für die Anzeige zu rechtfertigen.

© Andrea Marchetti

Ob ich je die überraschten Blicke des Richters, des Staatsanwaltes vergesse, geschweige das freche Grinsen meines ehemaligen Freundes?

Doch ich lebe – noch immer und nur das zählt.

Ein Beispiel von vielen aus dem täglichen Leben. Ich finde es deshalb sehr wichtig, daß diese Thematik jetzt immer mehr in die Öffentlichkeit gelangt. Hier darf ein Wahrnehmungswechsel stattfinden.  Auch bei denen, die diesen Missbrauch mitbekommen und dennoch schweigen.

Herzlichst

Evelyn

Mentorin auf Zeit


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