Zum Nachdenken

Entdeckung

© Evelyn Worbs

Also ich hatte Gänsehaut beim Lesen:

Eines Tages bat eine Lehrerin ihre Schüler, die Namen aller anderen Schüler der Klasse auf ein Blatt Papier zu schreiben und ein wenig Platz neben den Namen zu lassen. Dann sagte sie zu den Schülern, sie sollten überlegen, was das Netteste ist, das sie über jeden ihrer Klassenkameraden sagen können und das sollten sie neben die Namen schreiben.

Es dauerte die ganze Stunde, bis jeder fertig war und bevor sie den Klassenraum verließen, gaben sie ihre Blätter der Lehrerin. Am Wochenende schrieb die Lehrerin jeden Schülernamen auf ein Blatt Papier und daneben die Liste der netten Bemerkungen, die ihre Mitschüler über den Einzelnen aufgeschrieben hatten.

© Andrea Marchetti

Am Montag gab sie jedem Schüler seine oder ihre Liste. Schon nach kurzer Zeit lächelten alle. „Wirklich?“, hörte man flüstern. „Ich wusste gar nicht, dass ich irgendjemandem was bedeute!“ und „Ich wusste nicht, dass mich andere so mögen“, waren die Kommentare. Niemand erwähnte danach die Listen wieder. Die Lehrerin wusste nicht, ob die Schüler sie untereinander oder mit ihren Eltern diskutiert hatten, aber das machte nichts aus. Die Übung hatte ihren Zweck erfüllt. Die Schüler waren glücklich mit sich und mit den anderen.

Einige Jahre später war einer der Schüler gestorben und die Lehrerin ging zum Begräbnis dieses Schülers. Die Kirche war überfüllt mit vielen Freunden. Einer nach dem anderen, der den jungen Mann geliebt oder gekannt hatte, ging am Sarg vorbei und erwies ihm die letzte Ehre. Die Lehrerin ging als letzte und betete vor dem Sarg.

© Andrea Marchetti

Als sie dort stand, sagte einer der Anwesenden, die den Sarg trugen, zu ihr: „Waren Sie Marks Mathelehrerin?“ Sie nickte: „Ja“. Dann sagte er: „Mark hat sehr oft von Ihnen gesprochen.“ Nach dem Begräbnis waren die meisten von Marks früheren Schulfreunden versammelt. Marks Eltern waren auch da und sie warteten offenbar sehnsüchtig darauf, mit der Lehrerin zu sprechen.

„Wir wollen Ihnen etwas zeigen“, sagte der Vater und zog eine Geldbörse aus seiner Tasche. „Das wurde gefunden, als Mark verunglückt ist. Wir dachten, Sie würden es erkennen.“ Aus der Geldbörse zog er ein stark abgenutztes Blatt, das offensichtlich zusammengeklebt, viele Male gefaltet und auseinandergefaltet worden war. Die Lehrerin wusste ohne hinzusehen, dass dies eines der Blätter war, auf denen die netten Dinge standen, die seine Klassenkameraden über Mark geschrieben hatten. „Wir möchten Ihnen so sehr dafür danken, dass Sie das gemacht haben“, sagte Marks Mutter.

© Andrea Marchetti

Wie Sie sehen können, hat Mark das sehr geschätzt.“ Alle früheren Schüler versammelten sich um die Lehrerin. Charlie lächelte ein bisschen und sagte: „Ich habe meine Liste auch noch. Sie ist in der obersten Schublade in meinem Schreibtisch“. Die Frau von Heinz sagte: „Heinz bat mich, die Liste in unser Hochzeitsalbum zu kleben.“ „Ich habe meine auch noch“, sagte Monika. „Sie ist in meinem Tagebuch.“ Dann griff Irene, eine andere Mitschülerin, in ihren Taschenkalender und zeigte ihre abgegriffene und ausgefranste Liste den anderen. „Ich trage sie immer bei mir“, sagte Irene und meinte Dann: „Ich glaube, wir haben alle die Listen aufbewahrt.“

Die Lehrerin war so gerührt, dass sie sich setzen musste und weinte. Sie weinte um Mark und für alle seine Freunde, die ihn nie mehr sehen würden. Im Zusammenleben mit unseren Mitmenschen vergessen wir oft, dass jedes Leben eines Tages endet und dass wir nicht wissen, wann dieser Tag sein wird.

– Autor unbekannt –

Deshalb dürfen wir den Menschen, gerade die, die wir lieben und um die  wir uns sorgen, immer wieder sagen, dass sie etwas Besonderes und Wichtiges sind.

  • Worauf lenkst Du Deine Aufmerksamkeit?
  • Auf das, was „schlecht“ ist oder auf das, was „positiv“ ist?
  • Machst Du das auch bei Dir selbst oder nur in Bezug auf andere?

Herzlichst

Evelyn

– Mentorin auf  Zeit –


8 Kommentare

  1. 1. Thomas

    Kommentar vom 21. April 2010 um 12:51

    Ich kenne das. Viele Menschen sind so sehr auf das Negative fixiert und vergessen, wie wohltuend es für sich und andere ist, sich mehr auf das „halbvolle Glas“ zu fixieren als auf das „halbleere“.

    Ein Lob, ein angenehmes freundliches Gesprächsklima kostet nichts und kommt vielleicht auf vielen Umwegen irgendwann zu einem zurück.

  2. 2. Evelyn

    Kommentar vom 9. Mai 2010 um 23:12

    Lieber Thomas,

    ja, ich glaube, daß wir das alle kennen, doch ist die Frage, wer das wahr nimmt.
    Vor allem bin ich davon überzeugt, daß wir immer das zurückbekommen was wir geben – wenn auch manches Mal in einer Verpackung, die wir uns anders vorstellten ;-).

    Dir eine gute Zeit

  3. 3. immo lünzer

    Kommentar vom 23. August 2010 um 10:24

    HERZLICHEN DANK für diese eindrucksvolle Geschichte.
    Es wäre so schön, wenn das positive Denken über den anderen mehr Verbreitung finden könnte.
    ALSO: lasst uns noch heute damit anfangen.

  4. 4. Michael Wieden

    Kommentar vom 25. August 2010 um 11:16

    Liebe Evelyn,

    eine wirklich schöne Geschichte, die berührt! Ich bin ein sehr positiver Mensch. Stelle positive Kleinigkeiten über negative Ereignisse. Dennoch passiert es mir immer wieder, dass ich über Menschen negativ rede/denke. Es sind meistens diejenigen, die diese meine oder auch anderer Freundlichkeiten und Zuvorkommenheit in meinen Augen ausnutzen, missachten, beleidigen. Aber vielleicht tun sie dies auch, weil sie … andere Lehrer gehabt haben!

  5. 5. seiderdubist

    Kommentar vom 6. Mai 2011 um 23:24

    „Ohne Worte“ 🙂

    Grüßle
    Georg

  6. 6. Evelyn

    Kommentar vom 10. Mai 2011 um 17:26

    Schön, Georg, daß auch Dir die Geschichte so gut gefällt, daß Du sie auf Deinem Blog einstelltest.

    Wir dürfen uns alle „täglich“ immer wieder daran erinnern bzw. uns erinnern lassen.

    Herzlichst
    Evelyn

    PS: Der Link ist in der URL eingearbeitet, so kommen die Leser dann direkt auf diesen Artikel bei Dir.

  7. 7. Rainer Ostendorf

    Kommentar vom 1. Januar 2014 um 12:17

    „Man sollte nie so viel zu tun haben, daß man zum Nachdenken keine Zeit mehr hat. “ Georg Christoph Lichtenberg

    Der Blog gefällt mir. Auch ich gebe auf meiner Webseite Denkanstösse. Wer Philosophisches mag sollte hier mal schauen: http://www.freidenker-galerie.de/acrylbilder-zitate-zum-nachdenken-philosophie-2/

  8. 8. Evelyn

    Kommentar vom 4. Januar 2014 um 22:24

    Danke, Reiner,
    für dieses herrliche Zitat!
    Und ich fand ganz interessante Zitate auf Deiner Website. Danke dafür!
    Willkommen in 2014 – und vielleicht lesen wir uns wieder.
    Herzlichst
    Evelyn

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