Die Trauer – ein Geschenk (2/2)

© Andrea Marchetti

Im finsteren Tal der Angst musste die Trauer oft am längsten ihren Dienst tun. Jeder Mensch wurde von einem Helfer hindurchgeleitet. Im Tal der Angst machten immer etliche Engel ihr erstes Praktikum. Auch Feen und Pflanzendevas, pragmatische Erdweibchen und etliche Menschen taten dort Dienst. Sie alle waren Teil einer höheren Kraft. Sie hatten immer viele Fragen, und es gab täglich eine Supervision für sie. Am schwierigsten war es, Trauernde dort hindurchzuführen, die keine Begleitung wollten. Denn hier kam man allein nicht weiter. Viele glaubten nicht an höhere Wesen. Sie konnten nur von Menschen begleitet werden. Händeringend suchte die Trauer deshalb Menschen, die dazu fähig waren. Sie hatte sogar ein Ausbildungsprogramm ins Leben gerufen, das von anderen Ländern und Dimensionen unterstützt wurde. Denn Angst war eine der stärksten Kräfte im bewohnten Universum.

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Dann ging sie zu ihrem Erleichterungspool und ermutigte einige Menschen, hineinzuspringen. Manchmal bringt der Tod eines Nahestehenden neben Schmerz und Traurigkeit auch Erleichterung mit sich, ein Gefühl, für das die meisten eine besondere Erlaubnis von ihr brauchten. Heute hatte sie gerade wieder eine junge Frau hineingeschubst in dieses erfrischende, klare Wasser.

© Andrea Marchetti

Dann sah sie nach den Menschen, die in den Gärten der Erinnerung arbeiteten. Eine Frau saß schon wieder mitten in den Brennnesseln und weinte. Die Trauer nahm sie behutsam an die Hand und zeigte ihr die anderen Beete: Rosen, Ringelblumen, Himbeersträucher. Doch die Frau wollte nur wieder zurück zu den schmerzenden Erinnerungen. Die Trauer hatte viel Geduld. Vielleicht würde sie morgen eine Rose wahrnehmen oder eine Himbeere essen können. Alles dauert seine Zeit.

Zuletzt suchte sie die Höhle des Drachen auf. Sie fütterte das furchterregende Tier und ermutigte es, weiter seine Arbeit zu tun. Das brave Tier bekam täglich Zuspruch von ihr. Der Drache verkörperte in der Trauerwelt das quälende Schuldgefühl. An ihm mussten sich alle einmal abarbeiten. Hier wurde die große Prüfung bestanden, oder es gab einen ewigen Kampf. Wenn genug Selbstliebe entwickelt war, gab sich der Schulddrache geschlagen. Dann konnte der Mensch die Verantwortung für sich und sein Leben tragen und die unnötige, künstliche Schuld mit einer Fackel endgültig verbrennen.

© Andrea Marchetti

Voller Mitgefühl sah die Trauer wieder eine alte Frau das Schwert schwingen. Sie war noch weit von der Selbstliebe entfernt. „Ich werde ihr morgen sagen, daß sie noch einen Gang durch die Wüste machen soll. In der Einsamkeit kann die Liebe am besten gedeihen. Dann werde ich sie in die Oase mitnehmen. Sie muß lernen, zu nehmen. Ich werde ihr köstliche Früchte in den Mund stecken. Mal sehen, was dann geschieht.“

© Andrea Marchetti

Und dann begab sich die Hebamme des Lebens wieder in ihr Haus – sie legte ihre Beine hoch, schlürfte eine Tasse Tee, biss mit Vergnügen in ein großes Butterbrot und kramte in ihrem Korb nach den köstlichen Früchten, um auch selbst ein paar davon zu genießen.
–  Antje Uffmann –

Durch diese jeweiligen Trauerphasen führt Antje Uffmann in ihrem Buch „Trauern und Leben“ (siehe Buchempfehlungen). Diese Geschichte ist in der Neuauflage des Buches, welches auch ein wenig umstrukturiert wurde. Gleichwohl ist das für mich immer noch das Buch Nummer 1 bei der Trauerarbeit. Und Trauer gehört mit zu uns, wie jedes andere Gefühl auch. Alle wollen gesehen und gewürdigt werden.

Siehe in diesem Zusammenhang auch meinen Beitrag „Trauer(n)“, den Du hier findest.

Herzlichst

Evelyn

Mentorin auf Zeit


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