Sie haben uns vergrault …

Heute ist einer der goldenen Oktober-Sonntage: die Sonne lacht vom Himmel und es ist richtig schön warm draußen. Wir haben so um die 25° – mal wieder ein Wetter für das T-Shirt. Solche herrlichen Herbsttage machen einfach gute Laune.

Mich zieht es hinaus ins Grüne. Also auf zum Lietzensee, mein Lieblingsplatz hier in Berlin. Ein Sparziergang durch das raschelnde Laub ist ein besonderes Vergnügen für mich. All das bunte Laub ist so schön anzusehen, hat einen eigenen Geruch und irgendwie zaubert mir das alles ein leises Lächeln auf mein Gesicht. Schon als Kind „schlurfte“ ich gerne durch das Laub und wirbelte es auf.

Anschließend ging es zum Bootshaus. Die Terrasse war natürlich bei diesem Wetter sehr gut besucht und kein freier Tisch zu sehen. Doch ich entdeckte direkt am Wasser einen 4er Tisch, an welchem zwei Frauen saßen. Eine von beiden war gerade fertig mit dem Essen und hatte noch zur Hälfte ihr Glas gefüllt. Ich fragte die beiden Frauen, ob noch ein Platz an ihrem Tisch frei sei und ich mich dazu setzen dürfe. Die Frau, die ohne Getränk/Essen am Tisch saß, schaute mich böse an. Ihre Freundin meinte: „Ja bitte, wir gehen sowieso gleich.“

Ich dankte freundlich, freute mich und setzte mich dazu, nachdem die etwas unfreundliche Frau ihre Tasche und Jacke vom Stuhl nahm und für die restliche Zeit vor sich auf dem Tisch bzw. Schoß legte. Wenn Blicke töten könnten, wäre es mit mir vorbei gewesen.

Ich genoß meinen Platz in der Sonne, beobachtete die Enten, die ihre Bahnen zogen und ließ mir meinen Eiskaffee gut schmecken. Ich mag die Energien, die dort am Fließen sind und ich gebe jedes Mal, wenn ich dort bin, meinen seelischen Müll ab. Und ich widmete mich meinem Buch.

Nach ca. 10 Minuten standen die beiden Frauen auf (das Glas war noch immer halb  voll) und die grantige Frau meinte zu mir in sehr geharnischtem Ton: „Sie haben uns vergrault. Wir saßen hier und führten ein privates Gespräch. Das haben Sie unterbrochen, das ging nun nicht mehr.“

Ich schaute sie überrascht an und meinte ganz freundlich und in ruhigem Ton zu ihr: „Oh, ich kann Sie gar nicht vergraulen, das liegt außerhalb meiner Macht.“ Mit einem bitterbösen Blick wandte sie sich ruckartig von mir ab, ihre Freundin nickte mir lächelnd zu und damit gingen beide.

Wie schön und bequem ist es doch, einen anderen Menschen als Sündenbock hinzustellen, sich selbst als Opfer zu sehen. Damit ist es leicht, die Verantwortung für die eigenen Gefühle und Entscheidungen an andere abzugeben. Ja, jeder von uns löst beim anderen Menschen Gefühle aus. Doch welche das sind, das entscheidet derjenige ganz allein für sich selbst. Diese Frau entschied sich dafür, verärgert bzw. beleidigt zu sein. Doch es lag in ihrer Verantwortung, die Entscheidung ihrer Freundin zu akzeptieren, daß ich mit an den Tisch kam. Sie hätte auch Nein sagen können.

Wie auch immer – ich hatte anschließend noch nette, aufgeschlossene Menschen an meinem Tisch mit einer lebhaften Unterhaltung.

Wie handhabst Du das?

Schiebst auch Du so gerne die Verantwortung für Deine Gefühle und Deine Entscheidungen anderen in die Schuhe wie diese Frau?

Herzlichst

Evelyn

Mentorin auf Zeit


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