Du sollst deinen Vater und deine Mutter (lieben und) ehren

© Jo Graetz

So lautet das 4. Gebot der Kirche. Und immer wieder stoße ich da auf Widerstand. Was bedeutet dieses Gebot eigentlich? Ist das ein Freibrief für die Eltern, alles mit ihren Kindern machen zu dürfen und trotzdem genau dafür geliebt bzw. geehrt (und später möglichst auch versorgt) zu werden?

Wenn ich Sprüche für das Poesiealbum lese (die sogar von Erwachsenen verbreitet werden), wie z.B.

  • Es gibt nur eine ganz selbstlose, ganz reine, ganz göttliche Liebe, und das ist die der Mutter für das Kind. (Georg Ebers)
  • Solange wird die Liebe dauern, solang ein Mutterherz noch schlägt. (Albert Träger)
  • Nur eine Mutter weiß allein, was lieben heißt und glücklich sein. (Adalbert von Chamisso)

kommt mir das wie ein Betrug an der Seele von uns Kindern vor, den wir durch unsere Eltern (sowohl durch seelischen als auch körperlichen Missbrauch) erlebten. Kann ich mich zwingen, meine Eltern dafür zu ehren und zu lieben, daß sie „mich“ für ihre eigenen Zwecke benutzten? Ja, als Kind mache ich das, denn in irgendeiner Form versuche ich zu überleben, versuche ich, die Liebe der Eltern zu erhalten, deren Fürsorge. Doch das, was geschah, ist in all unseren Körperzellen abgespeichert und die Zellen haben ein sehr gutes Gedächtnis; das zeigt sich spätestens, wenn Krankheiten „wie aus dem Nichts“ auftauchen.

© Jo Graetz

Was hält uns heute ab, unseren Unmut – oder auch Hass auf bestimmte Erlebnisse – auszudrücken gegenüber unseren Eltern? Ist es Moral, ist es Ethik, ist es das 4. Gebot, welches uns den Mund verschließt? Unsere Gefühle sind da und unser Körper zeigt uns genau diese sehr deutlich.

Da tauchen die Magenbeschwerden auf, wenn ein Besuch bei den Eltern ansteht; da zeigen sich Kopfschmerzen, wenn der Besuch von Vater oder Mutter sich ankündigt. Doch all das wird weiter negiert. Lieber werden Ärzte aufgesucht, damit wir eine Diagnose und ein Mittel bekommen, damit der Verstand beschwichtigt ist, unsere Körperzellen sind so keinesfalls zu beschwichtigen.

© Jo Graetz

Und dennoch machen wir mit der Heuchelei weiter und leben immer noch im braven Gehorsam des (Klein)Kindes. Zeigen uns als liebevolle Tochter bzw. liebevoller Sohn, verkneifen uns, unsere Wahrheit ihnen gegenüber auszudrücken.  Schließlich schulden wir ihnen ja Dankbarkeit. Wer behauptet das?

Nein, wir dürfen uns eingestehen, daß wir Verletzungen erlebten und unsere Gefühle der Ablehnung gegenüber unseren Eltern sehr lebendig in uns sind. Gefühle der Undankbarkeit. Das Zorn auf Mutter bzw. Vater in uns sitzt, evtl. sogar Hass und Wut; und nach wie vor in uns die Sehnsucht nach Liebe, nach Anerkennung, nach Wertschätzung, nach Beachtung, nach … durch Vater und/oder Mutter lebt.

Was passiert dann? Wenn wir mit der bisherigen Form des Selbstbetruges aufhören, wenn wir uns eingestehen, daß diese Gefühle in uns sind – erst dann sind wir uns selbst gegenüber treu und in der Ehrung unseres eigenen Erlebens, unserer Wahrheit. Dann hören wir auf damit, das Spiel der anderen weiter mitzuspielen: Nämlich nur die guten Seiten der Eltern zu sehen und alles andere auszublenden. Unser Körper dankt es uns, in dem er gesundet und keine weiteren Symptome zeigen muß um Beachtung zu finden.

© Jo Graetz

Nein, wir müssen kein Verständnis für unsere Eltern haben … zeigt es sich dennoch irgendwann, so können wir unser Mitgefühl ihnen gegenüber zeigen. Vielleicht wird das eine Chance für den gemeinsamen und endlich ehrlichen Dialog. Doch eine Verpflichtung dazu besteht keinesfalls.

Meine Eltern lehnten diese Art von Gespräche ab und zogen es vor, den Kontakt mit mir abzubrechen, was auch meine Geschwister ihnen nach machen. Sie bleiben halt in ihren Rollen hängen. Ich habe (überwiegend) meinen Frieden mit meiner Erzeugerfamilie, ertappe mich dennoch immer mal wieder, dass hier und da noch etwas angesehen werden will.

© Jo Graetz

An dieser Stelle noch ein Hinweis:

Schau gerne in der Rubrik Buchempfehlungen nach, dort ist „Lilith“ zu finden … Das Buch kann Dir für Dein eigenes, besseres Verstehen ein Helfer sein.

Herzlichst

Evelyn

Mentorin auf Zeit


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